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50 Jahre Umweltpolitik - 50 Jahre SRU

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Einleitung

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen feiert im Jahr 2022 sein 50. Jubiläum. Wir laden Sie ein, mit uns die Geschichte der deutschen Umweltpolitik und des SRU zu erkunden.
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1971–1974

In den 1960er-Jahren spielten Umweltprobleme in der Politik noch kaum eine Rolle. Die teilweise extremen Ausmaße von Luft- und Wasserverschmutzung wurden meist als lokale Einzelprobleme verstanden, die Lösungen waren rein technischer Natur. Beispiel dafür war die „Politik der hohen Schornsteine“, durch die industrielle Abgase nicht reduziert, sondern nur in größerer Höhe freigesetzt wurden.
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Ausgehend von den USA entwickelte sich zunehmend ein Bewusstsein über die Komplexität ökologischer Systeme und die Verletzlichkeit der Biosphäre. Das meist als „Earthrise“ bezeichnete Foto der Erde aus der Umlaufbahn des Mondes aus dem Jahr 1968 ist Sinnbild für diesen Epochenwandel. Ein Meilenstein war auch das Buch „Silent Spring“ von Rachel Carson. Den Höhepunkt erreichte diese erste Phase des Bewusstseins für globale Umweltprobleme 1972 mit dem Bericht des Club of Rome über „Die Grenzen des Wachstums“.
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Damaliger Innenminister Hans-Dietrich Genscher und damaliger Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1974
Damaliger Innenminister Hans-Dietrich Genscher und damaliger Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1974
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In diesem zeitgeschichtlichen Kontext fand auch die Institutionalisierung der Umweltpolitik in Westdeutschland statt. Die 1969 gewählte, sozialliberale Regierung unter Bundeskanzler Brandt und Innenminister Genscher machte sich erstmals auf, bislang getrennt gedachte Phänomene wie Luftverschmutzung und Lärm unter dem Begriff „Umweltschutz“ zusammenzudenken. Innenminister Genscher führte dazu eine Abteilung Umweltschutz im Innenministerium ein. Hier wurde im Anschluss das erste Umweltprogramm der Bundesrepublik Deutschland entworfen und noch 1971 vom Bundeskabinett beschlossen. Im Vorwort des Bundeskanzlers heißt es:

„Die Erhaltung einer gesunden und ausgewogenen Umwelt gehört zu den Existenzfragen der Menschheit. […] Auch für künftige Generationen müssen saubere Luft, reines Wasser und eine gesunde Landschaft bewahrt werden.“

Das Umweltprogramm kündigte eine Reihe von Gesetzesinitiativen für den Umweltschutz an. Doch die damalige Politik war überzeugt, dass die erstmals als „Umweltprobleme“ beschriebenen Phänomene noch nicht ausreichend verstanden waren. Man wünschte sich systematisches und übergreifendes Wissen. Zentraler Baustein des Umweltprogramms war daher die Gründung des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, der die Bundesregierung wissenschaftlich beraten sollte. Er sollte aus zwölf Personen „mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen im Umweltschutz“ bestehen. Die Mitglieder sollten aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen stammen und interdisziplinär arbeiten.
Damaliger Innenminister Hans-Dietrich Genscher und damaliger Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1974
Damaliger Innenminister Hans-Dietrich Genscher und damaliger Bundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1974
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Ende 1971 wurde der Einrichtungserlass vom Innenminister unterzeichnet, im April 1972 konstituierte sich der zwölfköpfige Rat auf der Insel Mainau, bevor er am 19. Mai 1972 offiziell zu seiner ersten Sitzung zusammentrat. Unmittelbar danach machte sich der Rat an die Arbeit für sein erstes Sondergutachten „Auto und Umwelt“, das im Oktober 1973 veröffentlicht wurde.
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1974–1980

War die Zeit um 1970 noch durch großes Interesse an der Umweltpolitik geprägt, drehte sich der politische Wind spätestens Mitte der 1970er-Jahre: Inflation und steigende Arbeitslosigkeit infolge der Ölkrise 1973 prägten das politische Klima. Vor diesem Hintergrund positionierten sich Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften gegenüber weiteren umweltpolitischen Maßnahmen zunehmend kritischer. Zeitgleich mobilisierte sich zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen die zivile Nutzung der Atomkraft in Deutschland. Der Konflikt wurde zum Kristallisationspunkt der Umweltbewegung.
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Die damaligen Mitglieder des Rates bei einer Forschungsreise am Rhein im Jahr 1979
Die damaligen Mitglieder des Rates bei einer Forschungsreise am Rhein im Jahr 1979
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Mit seinem ersten übergreifenden Umweltgutachten 1974 leistete der Rat wissenschaftliche Grundlagenarbeit in Form einer „Umweltbilanz“ für Deutschland. Innenminister Genscher bezeichnete das Gutachten bei seiner Vorstellung als „Meilenstein in der noch jungen Geschichte der  Umweltpolitik“. Dabei reichte das Themenspektrum von der Wasser- und Luftqualität bis zur Begrenzung des Einsatzes von Tierarzneimitteln und der Schadstoffbelastungen von Lebensmitteln. Der Umweltrat gab darin einerseits konkrete Empfehlungen, wie beispielsweise  bestehende Grenzwerte für Luft, Lärm, Wasser und Lebensmittel deutlich zu verschärfen, um sie an den Stand der Wissenschaft anzupassen. Der Rat überlegte aber auch damals schon, wie Umweltschutz strukturell gestärkt werden könnte. So schlug er vor, die Aufnahme eines Grundrechts auf eine lebenswürdige Umwelt in das Grundgesetz und die Einführung eines Verbandsklagerechts für Umweltverbände zu prüfen. Er betonte die Bedeutung des Verursacherprinzips, das auch heute noch nicht überall verwirklicht wird.
Die damaligen Mitglieder des Rates bei einer Forschungsreise am Rhein im Jahr 1979
Die damaligen Mitglieder des Rates bei einer Forschungsreise am Rhein im Jahr 1979
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Ein dringendes Umweltproblem der Zeit war die Einleitung von Abwässern und der daraus folgende schlechte ökologische Zustand von Flüssen, Seen und Meeren. In drei Sondergutachten nahm sich der Rat dieser Herausforderung an: Bereits im Jahr 1974 entwickelte er in einem Sondergutachten das ökonomische Instrument einer Abwasserabgabe. Im März 1976 erschien das Sondergutachten „Umweltprobleme des Rheins. Die vom Rat empfohlene Abwasserabgabe wurde schließlich mit dem Abwasserabgabengesetz 1978 eingeführt.
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Der Rat machte auch auf die ökologische Krise der Nordsee aufmerksam. Er sah die Nordsee als stark gefährdet an und befürchtete irreversible Schäden. Das 1980 veröffentlichte Sondergutachten schlug hohe Wellen. In einem Artikel mit dem Titel „Erst stirbt der Seehund, dann der Mensch“ berichtete die Zeitschrift DER SPIEGEL ausführlich über das Gutachten:

„Forschungsdefizite und Naturgesetzlichkeiten fügen sich, so scheint es, zu einem wissenschaftlich-politischen Dilemma. »Solange katastrophale Ereignisse und alarmierende ökologische Funktionsstörungen noch nicht aufgetreten sind«, warnen die Umwelt-Gutachter, »fehlt es möglicherweise an dem notwendigen Problemdruck, um geeignete umweltpolitische Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten.«

Liegen Beweise für die Gefährdung des Meeres aber erst einmal vor, die ins öffentliche Bewußtsein durchschlagen, könne es schon zu spät sein. »Schädigungen, die das Ökosystem Nordsee im ganzen verändern«, wären, so die Gutachter, »weitgehend irreversibel«. […]

Bonns Gutachter fordern, jegliche Abfall-Verklappung in der Deutschen Bucht solle »unterbleiben«; auch der grenzüberschreitende »Sondermülltourismus« sei zu »unterbinden«. Verboten gehöre, meinen die Wissenschaftler, die Versenkung von Chemie- und Klärmüll schon dann, wenn »eine schädliche Wirkung zu befürchten ist, ein konkreter Nachweis jedoch noch aussteht«. Nur so könne dem Umstand Rechnung getragen werden, »daß immer wieder neue Erkenntnisse über Schadstoffwirkungsbeziehungen im Meer gewonnen werden«.

Die Chancen, daß die Wissenschaftler-Wünsche Wirklichkeit werden, haben sich, so scheint es, in den letzten Wochen ein wenig verbessert: Seit Naturschützer in Holland wie in Westdeutschland Prozesse und Proteste gegen die Nordseeverschmutzung anzetteln, ist das Thema zum Politikum geworden.“

Erst stirbt der Seehund, dann der Mensch, Ausgabe 33/1980, DER SPIEGEL
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1980-1990

Die zunehmenden Waldschäden beschäftigten Fachleute bereits in den 1970er-Jahren. Erst nach und nach wurde der durch die Luftverschmutzung mit Schwefeldioxid verursachte „saure Regen“ als Ursache verstanden. Große gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit erlangte das Thema vor allem ab 1981 durch dramatische Medienberichte mit Aufnahmen sterbender Wälder. Die Politik wurde von dem Thema zunächst überrascht. Der SRU wurde daher mit einem Gutachten zum Thema beauftragt, welches 1983 erschien.
Der damalige Ratsvorsitzende Prof. Wolfgang Haber berichtete später:

„Wenn ich an die Diskussionen darüber zurückdenke, dann ist mir gerade aus der 
wissenschaftlichen Sicht eine Tatsache in Erinnerung geblieben [...], nämlich wie wenig wir zu jener Zeit über das Ökosystem Wald wussten. […] Das Waldschadens-Gutachten des SRU [war] außerordentlich erfolgreich, denn die Politik hat sofort darauf reagiert. Sie hat Gesetzesbestimmungen neu erlassen oder auch verschärft, zum Beispiel die „Technische Anleitung Luft“, um die Luft von Verunreinigen freizuhalten und den sauren Regen zu beseitigen. Die Industrie wurde verpflichtet, ihre Abgase zu entschwefeln, da Schwefelverbindungen als eine Hauptursache der Waldschäden erkannt worden waren. All dies ist in den 1980er Jahren veranlasst worden und weitgehend gelungen.“
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Dokumentation aus den 1980er-Jahren zum sauren Regen.

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Damaliger Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle im Jahr  1987
Damaliger Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle im Jahr 1987
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Weniger enthusiastisch wurde von der Politik das Sondergutachten „Umweltprobleme der Landwirtschaft“ aufgenommen, welches der SRU 1985 veröffentlichte und die ökologischen Folgen einer industrialisierten Landwirtschaft thematisierte. Aus der Landwirtschaft und der Agrarpolitik gab es zunächst viel Kritik an der Einschätzung des Rates, ein hessisches Branchenblatt sprach im Kontext des Gutachtens gar von einer „Epoche der ökologischen Spinner und übrigen Phantasten“. Doch, wie häufig in der Geschichte des SRU, änderte sich die Rezeption mit der Zeit. Prof. Haber berichtete von einem Gespräch mit dem damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle im darauffolgenden Jahr. Er habe zu ihm gesagt:

„Inzwischen habe ich es [das Gutachten] wirklich gelesen, und ich muss Ihnen sagen: Für mich als Landwirt hat vieles darin richtig wehgetan. Aber Sie haben Recht. Die Agrarpolitik kann so nicht weitergehen.“
Damaliger Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle im Jahr  1987
Damaliger Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle im Jahr 1987
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Während in den frühen 1980er-Jahren die Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung unter anderem durch den erstmaligen Einzug der Grünen in den Bundestag höhere politische Sichtbarkeit erlangte, änderte sich das politische Klima 1986 durch die Atomkatastrophe von Tschernobyl schlagartig. In der Folge wurde noch im selben Jahr ein eigenes Bundesumweltministerium gegründet. 1987 wurde Klaus Töpfer – selbst von 1978 bis 1980 Ratsmitglied im SRU – Umweltminister.
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Der Rat wendete sich ab 1987 in der Öffentlichkeit vernachlässigten Umweltproblemen zu, beispielsweise der Luftqualität in Innenräumen. Ein weiteres Sondergutachten thematisierte den Umgang mit bestehenden Altlasten – ein Schwerpunkt, der durch die industrielle Belastung von Böden und Grundwasser in der ehemaligen DDR ab 1990 noch an Aktualität gewann. Im Sondergutachten „Abfallwirtschaft“ aus dem Jahr 1990 warnte der Rat vor dem Export von Abfällen und betonte die Notwendigkeit einer umfassenden Kreislaufwirtschaft, die bereits am Anfang des Stoffkreislaufs ansetzt. So hieß es in einem Bericht der taz im November 1990:

„Vehement wehren sich die „Umwelt-Weisen“ gegen eine Fortsetzung des „Abfalltourismus“ in die Dritte Welt und nach Osteuropa. Vielmehr komme es darauf an, dem bisher eher proklamierten denn praktizierten „Vorrang von Vermeidung und Verwertung von Abfällen tatsächlich zum Durchbruch zu verhelfen“. […] Künftig wünschen sich die Autoren des 1.300-Seiten-Gutachtens, daß die „abfallwirtschaftlichen Auswirkungen“ bestimmter Produktionsentscheidungen von Anfang an berücksichtigt werden.“

Chaos in der Abfallwirtschaft, 14.11.1990, taz
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1990–1998

Mit dem Brundtland-Bericht 1987 verbreitete sich ein neuer Begriff im Umweltdiskurs: nachhaltige Entwicklung. Durch die Rio-Konferenz 1992 und die dort verabschiedete Agenda 21 wurde er zur Leitlinie internationaler und nationaler Politik. Soziale, ökonomische und ökologische Ziele sollten nicht gegeneinander ausgespielt, sondern als gleichrangig integriert werden.

Der SRU erkannte jedoch früh, dass der Begriff der Nachhaltigkeit auch das Risiko der Beliebigkeit birgt: Wie lässt sich praktisch entscheiden, ob eine Umweltschädigung für mehr ökonomische Prosperität gerechtfertigt ist, wenn ökonomische, soziale und ökologische Anliegen als gleichrangig angesehen werden? In der Konsequenz entwickelte der Rat im Umweltgutachten 1994 eine eigene Konzeption von „sustainable development“: die dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung mit einer starken ökologischen Säule. Ökonomische und soziale Entwicklung dürfe nur innerhalb der ökologischen Grenzen des Planeten stattfinden. Gleichzeitig sollte Umweltschutz in alle Politikbereiche integriert werden. Der Begriff der dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung ist heute jedoch weitgehend aus dem politischen Diskurs verschwunden.
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Prof. Succow im Jahr 1997 bei der Untersuchung von Versuchsflächen in der Friedländer Wiese, ein Jahr nach der Renaturierung
Prof. Succow im Jahr 1997 bei der Untersuchung von Versuchsflächen in der Friedländer Wiese, ein Jahr nach der Renaturierung
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Stellvertretender Ratsvorsitzender war von 1992 bis 1996 der ostdeutsche Biologe und Agrarwissenschaftler Prof. Michael Succow, der 1997 den alternativen Nobelpreis erhielt. Unter seiner Mitwirkung erschien 1996 ein Sondergutachten zur nachhaltigen Landnutzung. In diesem und weiteren Gutachten wendete der Rat das Konzept der dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung auf verschiedene Sektoren an. Im Landnutzungsgutachten empfahl der Rat eine Neuausrichtung der Raumplanung und der Agrarpolitik. Statt allein die Produktion zu honorieren, sollten öffentliche Mittel stärker die ökologischen Leistungen der Land- und Forstwirtschaft in den Mittelpunkt rücken.
Prof. Succow im Jahr 1997 bei der Untersuchung von Versuchsflächen in der Friedländer Wiese, ein Jahr nach der Renaturierung
Prof. Succow im Jahr 1997 bei der Untersuchung von Versuchsflächen in der Friedländer Wiese, ein Jahr nach der Renaturierung
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Ein wichtiges Thema der 1990er-Jahre waren die Politikinstrumente: Sind ökonomische Instrumente generell überlegen oder hat auch das Ordnungsrecht Vorteile? Im Umweltgutachten 1994 diskutierte der Rat beispielsweise, mit welchen Maßnahmen der Verkehr umweltfreundlicher gestaltet werden könnte. Für Aufregung sorgte aber vor allem die Überlegung, dass über einen Zeitraum von 10 Jahren ein Anstieg des Benzinpreises auf 5 DM pro Liter (etwa 2,50 €) aus ökologischer Sicht sinnvoll sein könnte. Der damalige Umweltminister Töpfer bezeichnete dies als „sozial nicht zumutbar“.
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In der Tagesschau vom 22.02.1994 wird über das Umweltgutachten des SRU berichtet

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Auch institutionell gab es in den 1990er-Jahren Veränderungen. Das Umweltministerium stärkte die Unabhängigkeit des Rates, verkleinerte ihn auf 7 Mitglieder und verlängerte die Ratsperioden auf 4 Jahre. Es wurden außerdem zunehmend Sozialwissenschaftler:innen und Ethiker in den Rat berufen. Damit wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass Umweltprobleme naturwissenschaftlich zwar zunehmend besser verstanden wurden, ambitionierte Umweltpolitik aber trotzdem oft nicht gelang.

„Vor dem Hintergrund der zunehmenden Politikintegration und der Globalisierung der Umweltpolitik war es notwendig, auch die Struktur des SRU den neuen Herausforderungen anzupassen. War es bisher darum gegangen, die Umweltproblematik wissenschaftlich in ganzer Breite aufzuarbeiten, so sollte mit der Reform des Sachverständigenrates 1990 eine stärkere Orientierung hin zu einem politischen Beratungsgremium erfolgen, das angesichts zunehmend komplexer Zusammenhänge Synthesen formuliert und einen Beitrag zur gesamtpolitischen Prioritätensetzung leistet.“

Umweltministerin Angela Merkel, 1997

In den 1990er-Jahren wurde Umweltpolitik zunehmend auf der europäischen Ebene gestaltet. Der Rat bemühte sich daher auch um eine stärkere Vernetzung der europäischen Umwelt- und Nachhaltigkeitsräte. So trug er maßgeblich zur Gründung eines entsprechenden Netzwerks (EEAC) bei.  
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1998-2010

Der Regierungswechsel 1998 weckte große Erwartungen an die Umweltpolitik. Kernanliegen der neuen Bundesregierung waren eine ökologische Steuerreform und ein Ausstieg aus der Atomkraft. Der Rat beteiligte sich an den Debatten dieser Zeit mit Empfehlungen für eine ökologisch wirksame Ausgestaltung der diskutierten Instrumente. Seine Vorschläge, die Energiesteuern zu ökologisieren und umweltschädliche Subventionen abzuschaffen, gingen deutlich über die geplante ökologische Steuerreform hinaus. Im Umweltgutachten 2000 empfahl er eine Nachhaltigkeitsstrategie mit möglichst konkreten Zielen, Fristen und regelmäßiger Evaluierung.
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Der Rat hatte zudem Sorge, dass trotz grüner Regierungsbeteiligung „persistente Umweltprobleme“ im Bereich des Natur-, Boden- und Gewässerschutzes zu wenig politische Aufmerksamkeit bekämen. Er veröffentlichte daher 2002 ein Sondergutachten zum Thema Naturschutz und empfahl eine nationale Naturschutzstrategie. Ein weiterer Schwerpunkt der Ratsarbeit war der Meeresumweltschutz:

„Nord- und Ostsee sind überfischt, verdreckt und damit in akuter Gefahr, so die düstere Diagnose der Sachverständigen für Umweltfragen (SRU). Gestern überreichten sie ihr 400-seitiges Sondergutachten „Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee“ an Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne). Sie forderten „einschneidende Korrekturen“ in der Fischerei-, Agrar- und Chemiepolitik – und legten damit das erste umfassende Konzept zum Schutz der Meere vor.“ 

Dreckig und überfischt,  11.02.2004, taz
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Der Rat und die Leitung der Geschäftsstelle im Jahr 2006
Der Rat und die Leitung der Geschäftsstelle im Jahr 2006
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2006 beschäftigte die Föderalismusreform die Bundespolitik, parallel gab es Bestrebungen, Bürokratie in den Länderverwaltungen abzubauen. Zu beiden Debatten meldete sich der SRU zu Wort. Insbesondere im Sondergutachten „Umweltverwaltungen unter Reformdruck“ wendete er sich gegen einen überzogenen Verwaltungsabbau, welcher die Funktionsfähigkeit der Umweltverwaltungen bedrohte:

„Ohne einen wirksamen Vollzug nützen selbst die ehrgeizigsten Umweltziele wenig. Die Leistungsfähigkeit der Umweltverwaltungen muss wieder in den Mittelpunkt der Reformanstrengungen gerückt werden.“

Ratsvorsitzender Prof. Hans-Joachim Koch im Rahmen der Veröffentlichung des Sondergutachtens
Der Rat und die Leitung der Geschäftsstelle im Jahr 2006
Der Rat und die Leitung der Geschäftsstelle im Jahr 2006
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In den 2000er-Jahren wurde der Klimaschutz politisch immer wichtiger, nicht nur wegen besserer wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern auch wegen zunehmender Extremwetterereignisse wie Stürme und Überschwemmungen. Der Rat unterstützte 2001 die Forderung nach einem Treibhausgasreduktionsziel von 40 % bis 2020, was damals von Wirtschaftsministerium und -verbänden noch kritisch bis ablehnend beurteilt wurde. Bei der Einführung des europäischen Emissionshandels trat der Rat für einen sektorübergreifenden Emissionshandel ohne Ausnahmeregelungen ein. Die Weltfinanzkrise ab 2008 verdrängte die Klimapolitik allerdings weitgehend von der politischen Agenda. Der Rat betonte in dieser Phase die volkswirtschaftlichen Vorteile, die sich aus einer klimapolitischen Vorreiterrolle Deutschlands und entsprechend ausgerichteten Konjunkturpaketen ergeben würden:

„Eine anspruchsvolle Klimapolitik hilft katastrophale Schäden abzuwehren und schafft neue Marktchancen und Arbeitsplätze. Verpasste Klimapolitik riskiert, dass der Automobilstandort Deutschland das Schicksal Detroits erleidet.“

Pressemitteilung „Klimawandel nimmt keine Rücksicht auf Finanzkrise“, 27.11.2008  
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2010 bis heute

Die Bundesregierung verlängerte 2010 die Laufzeiten der Atomkraftwerke, der bereits 2000 beschlossene Atomausstieg wurde verzögert. Der SRU kritisierte diesen Schritt als „Investitionshindernis für die erneuerbare Energien“. In Folge des Reaktorunglücks von Fukushima 2011 und eines öffentlichen Meinungsumschwungs beschloss die Bundesregierung kurzerhand eine Rückkehr zu einem beschleunigten Atomausstieg. Mit seinen Untersuchungen zu einem 100% erneuerbaren Stromsystem und der Umgestaltung des Strommarktes trug der Rat in dieser Zeit dazu bei, dass die Weichen in Richtung erneuerbare Energien gestellt wurden.
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Gleichzeitig rückten die systemischen Ursachen und globalen Risiken der ökologischen Krisen vermehrt in den Blick der Öffentlichkeit. Einen Beitrag dazu leistete das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen. Auch der Rat widmete sich Umweltproblemen zunehmend integriert. Zwar hatte er sich bereits früher mit Stickstoffoxidemissionen aus der Verbrennung von fossilen Kraftstoffen und Nitrat aus der Landwirtschaft beschäftigt. Neu war jedoch die umfassende Betrachtung dieses Problems über Umweltmedien hinweg, wie 2015 im Sondergutachten „Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem“. Eine der Hauptempfehlungen war daher eine integrierte Stickstoffstrategie.

„Wenn der Sachverständigenrat für Umweltfragen ein Sondergutachten vorlegt, dann wird es brisant. Diesmal hat sich das Beratergremium der Bundesregierung Stickstoff vorgenommen – und egal, ob Verbraucher, Landwirte oder Stromkonzerne: Die Regierungsberater legen sich mit fast allen an.“

Im Düngewahn, 14.01.2015, Zeit Online
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Daneben bemühte sich der Rat, dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen und frühzeitig auf drohende Umweltprobleme und Fehlentwicklungen hinzuweisen, zum Beispiel zu Nanomaterialien oder Fracking. Gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Beirat für Biodiversität und Genetische Ressourcen formulierte der SRU Empfehlungen für Maßnahmen gegen das medial viel beachtete Insektensterben.
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Der transformative Anspruch der Umweltpolitik führte jedoch auch zu Kritik. Welchen Einfluss darf Umweltpolitik auf das Leben der Menschen nehmen – und auf welcher Grundlage? Mit dem Sondergutachten „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“ erörterte der Rat, wieso der demokratische Rechtsstaat nicht nur zum umweltpolitischen Handeln befugt, sondern im Angesicht von ökologischen Kipppunkten sogar verpflichtet ist:

 „Die ökologische Belastungsfähigkeit der Erde wird vielfach überschritten: Klimawandel, Verlust biologischer Vielfalt und Umweltverschmutzung gefährden nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen unserer Gesellschaften, sie untergraben auch den Frieden und die Möglichkeit einer nachhaltigen Entwicklung. Unsere demokratische Gesellschaft sollte sich diesen Herausforderungen mit Entschiedenheit stellen.“

Prof. Wolfgang Lucht im Rahmen der Veröffentlichung des Sondergutachtens
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Vor allem ab 2019 erlebte die Umweltpolitik neuen gesellschaftlichen Rückenwind. Mit Fridays For Future erhob die junge Generation ihre politische Stimme gegen die Klimakrise und mangelnde politische Fortschritte. Im Kapitel des Umweltgutachtens 2020 „Pariser Klimaziele erreichen mit dem CO2-Budget“ kritisierte der Rat die deutschen Klimaziele. Es sei nicht klar, ob diese einen angemessenen Beitrag zum Pariser Klimaabkommen leisten würden. Das Kapitel wurde wiederholt in dem wegweisenden Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichtes im April 2021 aufgegriffen. In der Folge hob die Bundesregierung ihre Klimaziele deutlich an.
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Themen des Rates

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FAQ zum Rat

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Text, Bild und Produktion: Alexander Franke, Caroline Havemann

Thematische Textbausteine: Dr. Mechthild Baron, Dr. Henriette Dahms, Dr. Julia Hertin, Dr. Markus Salomon, Dr. Elisabeth Schmid

Redaktion: Kathrin Puderbach, Susanne Junker, Susanne Winkler



Relevante Quellen:

Baldock, D. (2017): Twenty-five years on. Progressing the sustainable development and environmental agenda in the EU and the role of the EEAC network. Maastricht: The European Environment and Sustainable Development Advisory Councils.

BMI (Bundesministerium des Inneren) (1972): Erlass über die Einrichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister des Innern vom 28. Dezember 1971. Gemeinsames Ministerialblatt 1972 (3), S. 27.

BVerfG (Bundesverfassungsgericht) (2021): Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz teilweise erfolgreich. Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 29. April 2021. Karlsruhe: BVerfG. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html (31.03.2022).

Carson, R. (1962): Der stumme Frühling. München: Biederstein.

Deutscher Bundestag (1981): Stenographischer Bericht. 50. Sitzung. Bonn, Freitag, den 11. September 1981. Berlin: Deutscher Bundestag. Plenarprotokoll 9/50. https://dserver.bundestag.de/btp/09/09050.pdf (07.04.2022).

Deutscher Bundestag (1971): Umweltprogramm der Bundesregierung. Bonn: Deutscher Bundestag. Bundestagsdrucksache 6/2710.

Europäische Kommission (2001): Weißbuch. Strategie für eine zukünftige Chemikalienkpolitik. KOM(2001) 88 endg. Brüssel: Europäische Kommission.

Frankfurter Abendpost (19.10.1973): Mit dem großen Hammer gegen das Auto.

Graf, R. (2018): Verhaltenssteuerung jenseits von Markt und Moral. Die umweltpolitische Regulierungsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland und den USA im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 66 (3), S. 435-462.

Haber, W. (2011): Umweltpolitikberatung - eine persönliche Bilanz. Studienarchiv Umweltgeschichte 16, S. 15-25.

Hünemörder, K. F. (2004): Die Frühgeschichte der globalen Umweltkrise und die Formierung der deutschen Umweltpolitik (1950 - 1973). Stuttgart: Steiner. Historische Mitteilungen / Beihefte 54.

Koch, H.-J., Hey, C. (Hrsg.) (2009): Zwischen Wissenschaft und Politik: 35 Jahre Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Berlin: Erich Schmidt Verlag. Materialien zur Umweltforschung 38.

Luhmann, H.-J. (1991): Warum hat nicht der Sachverständigenrat für Umweltfragen, sondern der SPIEGEL das Waldsterben entdeckt? Jahrbuch Ökologie 1992, S. 292-307.

Meadows, D. (1972): Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt.

Merkel, A. (Hrsg.) (1997): Wissenschaftliche Politikberatung für die Umwelt. Stationen, Leistungen, Anforderungen und Erfahrungen. Symposium aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) am 12. März 1997. Berlin: Analytica. Angewandte Umweltforschung 7.

Nordwestzeitung (19.09.1979): Umweltrat kritisiert das Chemikalien-Gesetz.

DER SPIEGEL (29.11.1987): Landwirtschaft – der alltägliche Irrsinn. Vergiftete Wässer, kranke Tiere, sterbende Böden: chemieintensiver Landbau an den Grenzen des Wachstums. https://www.spiegel.de/politik/landwirtschaft-der-alltaegliche-irrsinn-a-598d5f62-0002-0001-0000-000... (28.03.2022).

DER SPIEGEL (10.08.1980): Erst stirbt der Seehund, dann der Mensch. Nordsee in Not: Ölpest, Chemiemüll, Überfischung, Wattzerstörung. https://www.spiegel.de/politik/erst-stirbt-der-seehund-dann-der-mensch-a-17eeae71-0002-0001-0000-000... (28.03.2022).

taz (23.02.2007): Gestrichen: Jobs in Umweltverwaltung. https://taz.de/!3198642/ (28.03.2022).

taz (11.02.2004): Dreckig und überfischt. Sachverständige für Umwelt: Schutz für Nord- und Ostsee dringender denn je. Rot-Grün zum Handeln aufgefordert. https://taz.de/!791698/ (28.03.2022).

taz (14.11.1990): Rosenkranz, G.: Chaos in der Abfallwirtschaft. „Umwelt-Weise“ fürchten Verschärfung der Müllkrise/ Mittelfristig Wende mit Stoffverboten, Verteuerung der Müllbeseitung und umweltfreundlicher Produktion/ Vorrang von Vermeidung und Verwertung vor Beseitigung. https://taz.de/!1744184/ (28.03.2022).

Timm, G. (1989): Die wissenschaftliche Beratung der Umweltpolitik. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.

UBA (Umweltbundesamt) (2015): Umweltprobleme der Landwirtschaft. 30 Jahre SRU-Sondergutachten. Hintergrund. Dessau-Roßlau: UBA. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/376/publikationen/umweltprobleme_in_der_la... (19.11.2015).

UNCED (United Nations Conference on Environment and Development) (1992): Agenda 21. Rio de Janeiro: UNCED.

WCED (World Commission on Environment and Development) (1987): Our common future (Brundtland-Report). Oxford: Oxford University Press.

DIE ZEIT (14.01.2015): Uken, M.: Im Düngewahn. https://www.zeit.de/wirtschaft/2015-01/umweltfragen-stickstoff-landwirtschaft (28.03.2022).

DIE ZEIT (30.11.1973): Tügel, P. W.: 1983: Der Fußgänger geht vor. https://www.zeit.de/1973/48/1983-der-fussgaenger-geht-vor/komplettansicht (28.03.2022).

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Verkehr und Mobilität

Bereits das erste Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973 nahm den motorisierten Individualverkehr in den Blick. Ausgangspunkt für den Rat war, dass der motorisierte Individualverkehr nicht nur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt, sondern auch große ökologische und gesundheitliche Probleme mit sich gebracht hatte, zum Beispiel Luftverschmutzung und Lärm. Das Gutachten erschien neun Tage vor dem Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges und dem Beginn der 1. Ölkrise, welche das Verhältnis der Gesellschaft zum Automobil verändern sollte. Die Empfehlungen lesen sich weiterhin aktuell. So unter anderem eine integrierte Verkehrsplanung über alle Verkehrsträger, die Sperrung belasteter Innenstädte für den Individualverkehr und Parkgebühren sowie die Förderung von Fahrzeugen mit Flüssiggas- und Elektroantrieben. Aus heutiger Sicht überrascht, dass der Radverkehr nicht erwähnt wird.
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Grafische Darstellung aus dem Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973
Grafische Darstellung aus dem Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973
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Wenige Themen mit Umweltbezug lösten in der Geschichte des Rats so emotionale Reaktionen aus wie Vorschläge für eine nachhaltige Mobilität und Überlegungen zur nachhaltigen Gestaltung des Autoverkehrs. Das galt auch für das damalige Sondergutachten. Das Medienecho war teilweise entrüstet („Mit dem großen Hammer gegen das Auto“, Frankfurter Abendpost am 19.10.1973), es gab aber auch unterstützende Berichterstattung zum Gutachten:

 „Mag das einstimmig verabschiedete Programm engagierten Gegnern des Autos als hilfreiches Herumkurieren an Symptomen erscheinen, so dürfte es den betroffenen Interessengruppen immer noch ausreichend Zündstoff für erbitterte Polemiken liefern. […]

Was haben nun Deutschlands Autofahrer zu fürchten, was zu hoffen? In jedem Fall werden sie mit steigenden finanziellen Belastungen zu rechnen haben und mit Einschränkungen ihrer Freizügigkeit dort, wo es im Interesse der Allgemeinheit, einer gesunderen Umwelt und damit verbesserter Lebensqualität unumgänglich erscheint. […]

Doch den kostbaren Besitz des Autofahrers will niemand antasten. Die Gutachter respektieren vom Auto geprägte Verhaltensweisen und Siedlungsstrukturen, die diesen Besitz so vielen unverzichtbar erscheinen lassen, und lehnen einen radikalen Kurswechsel ab. Sie wären zufrieden, wenn es gelänge, die Zuwachsraten beim Kraftfahrzeugbestand drastisch zu reduzieren und damit zu verhindern, das der von Fachleuten angenommene, in der Bundesrepublik bereits erreichte Sättigungswert (300 Personenkraftwagen auf 1000 Einwohner) nicht unkontrolliert weiter hinausgeschoben wird.“

1983: Der Fußgänger geht vor, Zeit Ausgabe 48/1973

Die damals erhoffte Sättigung trat leider nicht ein. So beträgt die Pkw-Dichte heute rund 580 Pkw auf 1.000 Einwohnende. Parallel verdoppelte sich die mit dem Pkw zurückgelegte Verkehrsleistung.
Grafische Darstellung aus dem Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973
Grafische Darstellung aus dem Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973
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In den 1990er- und 2000er-Jahren wuchs das Bewusstsein über die Klimawirkung des Individualverkehrs. Im Umweltgutachten 1994 beschäftigte sich der Rat ausführlich mit Instrumenten, um Klimawirkung, Lärm und Luftverschmutzung des Verkehrs zu reduzieren. Im Mittelpunkt standen dabei ökonomische Instrumente wie zeitabhängige Straßennutzungsgebühren. Wie bei vergleichbaren aktuellen Debatten war die öffentliche Reaktion ablehnend. Insbesondere höhere Spritpreise sorgten schon damals medial für viele Kontroversen.

„Wir sind uns darüber im Klaren, daß, wenn wir die CO2-Minderungsziele, von anderen Minderungszielen gar nicht zu reden, erreichen wollen, daß dann der Benzinpreis erheblich höher sein muß als er heute ist. Wir halten die Vorstellung, daß man den Benzinpreis bis zum Jahr 2005 in eine Größenordnung von vier bis fünf Mark bringt, für realistisch.“

Prof. Hans-Jürgen Ewers anlässlich der Übergabe des Umweltgutachtens 1994
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Übergabe des Sondergutachtens „Umwelt und Straßenverkehr“ im Jahr 2005
Übergabe des Sondergutachtens „Umwelt und Straßenverkehr“ im Jahr 2005
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Eine europäische Verschärfung der Grenzwerte für Feinstaub sorgte Mitte der 2000er-Jahre für erneuten politischen Handlungsdruck. Der Rat veröffentlichte 2005 ein Sondergutachten „Umwelt und Straßenverkehr“. Statt die Probleme jedoch am Auspuff lösen zu wollen, forderte der Rat einen ganzheitlichen Wandel für mehr individuelle Mobilität bei insgesamt weniger Verkehr. Dominiert wurde die öffentliche Debatte zum Gutachten jedoch abermals durch umstrittene Einzelmaßnahmen wie die Empfehlung eines allgemeinen Tempolimits.
Übergabe des Sondergutachtens „Umwelt und Straßenverkehr“ im Jahr 2005
Übergabe des Sondergutachtens „Umwelt und Straßenverkehr“ im Jahr 2005
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Abbildung zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen aus dem Sondergutachten „Umsteuern erforderlich - Klimaschutz im Verkehrssektor“ aus dem Jahr 2017
Abbildung zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen aus dem Sondergutachten „Umsteuern erforderlich - Klimaschutz im Verkehrssektor“ aus dem Jahr 2017
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In den letzten Jahren rückte neben dem Verkehrslärm die Luftverschmutzung mit Stickstoffoxiden in den Mittelpunkt der Diskussion. Diese lag in vielen Städten über den Grenzwerten der europäischen Luftqualitätsrichtlinie. Auch die stagnierenden CO2-Emissionen des Verkehrs verstärkten den politischen Handlungsdruck. In einem Sondergutachten 2017 gab der Rat Empfehlungen für einen schnellen Markthochlauf der Elektromobilität. Er empfahl unter anderem eine Zulassungsquote für Elektrofahrzeuge und eine ökologische Ausrichtung der Energiesteuern. Daneben betonte er die Notwendigkeit, diese Antriebswende in eine ganzheitliche, menschengerechte Neugestaltung des Mobilitätssystems einzubetten. Dazu sollten Verkehrsvermeidung und -verlagerung in den Mittelpunkt gestellt werden.

Wie dies in den Städten und Kommunen gelingen könnte, wo das Auto für viele Wege gar nicht notwendig ist, stellte ein Kapitel des Umweltgutachtens 2020 in den Mittelpunkt. In diesem ging es um die Frage, welche bundespolitischen Weichenstellungen eine Mobilitätswende hin zu mehr Lebensqualität in den Städten ermöglichen würden. Dazu sollte vor allem die aktive Mobilität zu Fuß und mit dem Rad gestärkt werden.  
Abbildung zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen aus dem Sondergutachten „Umsteuern erforderlich - Klimaschutz im Verkehrssektor“ aus dem Jahr 2017
Abbildung zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen aus dem Sondergutachten „Umsteuern erforderlich - Klimaschutz im Verkehrssektor“ aus dem Jahr 2017
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Wie setzt sich der Rat zusammen?

Ratsmitglieder und Leitung der Geschäftsstelle 2020
Ratsmitglieder und Leitung der Geschäftsstelle 2020
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Laut Erlass besteht der Rat aus „Mitgliedern, die über besondere wissenschaftliche Kenntnisse und Erfahrungen im Umweltschutz verfügen müssen“. Sie werden vom Bundesumweltministerium vorgeschlagen und vom Bundeskabinett berufen. Bei der Zusammensetzung wird auf unterschiedliche fachliche Perspektiven geachtet. Im Unterschied zu anderen Sachverständigenräten ist der SRU stets interdisziplinär zusammengesetzt.

Bis 1990 wurden 12 Mitglieder für jeweils 3 Jahre in den Rat berufen. Dabei lag der Fokus auf den Naturwissenschaften, was von Beobachter:innen teilweise kritisiert wurde. Bis 1990 wurden ausschließlich Männer in den Rat berufen.

1990 wurde die Anzahl der Mitglieder auf 7 reduziert. Daneben berief die Bundesregierung zunehmend auch Sozialwissenschaftler:innen in den Rat. Mit Prof. Succow wurde 1992 erstmals ein angesehener Wissenschaftler aus der ehemaligen DDR in den Rat berufen. In den jüngsten beiden Ratsperioden bildeten und bilden Frauen die Mehrheit. Auch sind in der aktuellen Berufungsperiode vier von sieben Mitgliedern an ostdeutschen Forschungsinstituten und Universitäten tätig.
Ratsmitglieder und Leitung der Geschäftsstelle 2020
Ratsmitglieder und Leitung der Geschäftsstelle 2020
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Meere und Binnengewässer

Von einem Rheinfischer gefangene, tote Fische im Jahr 1969
Von einem Rheinfischer gefangene, tote Fische im Jahr 1969
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Ende der 1960er-Jahre zeigten sich in den Flüssen zunehmend die negativen Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung. So kam es im Juni 1969 zu einem großen Fischsterben im Rhein. Von Bingen bis nach Rotterdam erstreckte sich ein Band aus verendeten Fischen. Verursacht wurde diese Umweltkatastrophe durch das inzwischen in der EU verbotene Insektizid Endosulfan. Wie dieser Wirkstoff in das Wasser gelangte, konnte nicht vollständig aufgeklärt werden.
Von einem Rheinfischer gefangene, tote Fische im Jahr 1969
Von einem Rheinfischer gefangene, tote Fische im Jahr 1969
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Dabei standen damals Schadstoffbelastungen im Vordergrund. Nicht nur die zunehmende industrielle Entwicklung trug dazu bei, sondern auch die Tatsache, dass der Ausbau von Kläranlagen mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten konnte. Der Rat hat sich daher in einem Sondergutachten aus dem Jahr 1974 eingehend mit dem Instrument der Abwasserabgabe auseinandergesetzt, welche zwei Jahre später eingeführt wurde.

Der Rat wies in einem weiteren Sondergutachten aus dem Jahr 1976 darauf hin, dass die „Umweltprobleme des Rheins“ nicht eine unvermeidliche Begleiterscheinung des wachsenden Wohlstands, sondern vielmehr Folge fehlgeleiteter Planungen, mangelnder Weitsicht und falscher politischer Prioritäten war
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Damaliger Umweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1989
Damaliger Umweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1989
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Im Jahr 1977 wurde Prof. Klaus Töpfer in den Rat von Sachverständigen für Umweltfragen berufen. Er sollte später der zweite Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland werden. Besonders großes Medienecho erfuhr Klaus Töpfer als Umweltminister mit seinem Sprung in den Rhein, da die Wasserqualität des Flusses damals gemeinhin als ungeeignet zum Baden galt. Der Stunt des Ministers löste eine Kontroverse über die Belastung der Fließgewässer aus.
Damaliger Umweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1989
Damaliger Umweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1989
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„“Defizite zeigten sich in den 1970er-Jahren nicht nur beim Schutz der Binnengewässer, sondern auch der Meere. Dünnsäureverklappung, Entsorgung radioaktiver Abfälle und Schwermetalleinträge aus den Flüssen sind nur einige der Probleme, die zum Teil bis heute nachwirken.
Aus dem Grund beschäftigte sich der Rat in seinem Sondergutachten „Umweltprobleme der Nordsee“ mit dem Meeresschutz. Das Gutachten war eine Pionierarbeit, weil es zum ersten Mal das ganze Wissen über die Nordsee, insbesondere die menschlichen Eingriffe, zusammenfasste. Das Gutachten war Thema einer Bundestagsdebatte und wurde von allen Parteien gewürdigt und der dringende Handlungsbedarf anerkannt:

„Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam darum ringen und kämpfen, daß das Nordsee Gutachten bzw. seine parlamentarische Behandlung nicht wieder zum Ritual erstarrt. Es ist für die drohende Vergiftung der Nordsee vollständig ohne Belang, ob wir das hier behandeln oder ob wir das nicht behandeln. Es ist für den Cäsium-137-Anteil und die alarmierende Zunahme von halogenierten Kohlenwasserstoffen vollständig irrelevant, ob es ein Gutachten gibt oder ob es kein Gutachten gibt, solange nichts geschieht.
Das Gutachten gibt, glaube ich — da sind sich die Fachleute und auch die Laienleser, die es kennen, einig —, einen hervorragenden Überblick und ist eine erstaunliche Leistung; denn so deutlich und so detailliert und so methodenselbstkritisch ist bislang in der Geschichte der Menschen noch kein ökologischer Großraum untersucht worden.

Wir haben bisher die Nordsee genutzt und beachtet: als Müllkippe, als Verkehrsstraße, als Nahrungsreservoir, zuweilen auch als Landschaft für erhabene Gefühle und Gemälde des gehobenen Bürgertums und zunehmend als Freizeitpark.“

Abgeordneter Freimut Duve (SPD), Bundestagssitzung am 11.09.1981

Das Sondergutachten trug auch dazu bei, dass auf Initiative Deutschlands 1984 die Internationale Nordseeschutzkonferenz ins Leben gerufen wurde.
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Abbildung aus dem Umweltgutachten 2020. Dargestellt ist der prozentuale Anteil von Flüssen, Bächen und Seen, die durch die wichtigsten Belastungsschwerpunkte, darunter diffuse Quellen bspw. aus Landwirtschaft und Haushalten, beeinträchtigt werden.
Abbildung aus dem Umweltgutachten 2020. Dargestellt ist der prozentuale Anteil von Flüssen, Bächen und Seen, die durch die wichtigsten Belastungsschwerpunkte, darunter diffuse Quellen bspw. aus Landwirtschaft und Haushalten, beeinträchtigt werden.
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Dem Thema Meeresschutz wendete sich der Rat wieder ab den 2000er-Jahren zu. In dem Sondergutachten „Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee“ aus dem Jahr 2004 unterstrich er, dass sich die Fischerei- und Agrarpolitik dringend ändern müssten, um die Biodiversität zu erhalten. Bis heute stellen die Nährstoffeinträge in die Meere, vor allem aus der Landwirtschaft, ein großes Problem für Nord- und Ostsee dar. Die Fischerei verursacht durch den Einsatz schwerer Grundschleppnetze, die das Sediment geradezu durchpflügen, große ökologische Schäden. Bei den Flüssen stehen inzwischen neben diffusen Stoffeinträgen auch morphologische Veränderungen, also bauliche Eingriffe wie Begradigung, Anlegen von Querbauwerken und Eindeichungen im Vordergrund. Konsequenz ist unter anderem der Verlust der Auen, die als Hot Spots der Biodiversität gelten.
Abbildung aus dem Umweltgutachten 2020. Dargestellt ist der prozentuale Anteil von Flüssen, Bächen und Seen, die durch die wichtigsten Belastungsschwerpunkte, darunter diffuse Quellen bspw. aus Landwirtschaft und Haushalten, beeinträchtigt werden.
Abbildung aus dem Umweltgutachten 2020. Dargestellt ist der prozentuale Anteil von Flüssen, Bächen und Seen, die durch die wichtigsten Belastungsschwerpunkte, darunter diffuse Quellen bspw. aus Landwirtschaft und Haushalten, beeinträchtigt werden.
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Wie arbeitet der SRU?

Team der Geschäftsstelle und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Ratsmitglieder 2017
Team der Geschäftsstelle und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Ratsmitglieder 2017
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Der Rat wird in seiner Arbeit durch eine Geschäftsstelle in Berlin wissenschaftlich und organisatorisch unterstützt. So stehen hinter den Ratsmitgliedern rund 25 weitere Mitarbeiter:innen.

Hauptaufgabe des SRU ist die Veröffentlichung von Gutachten zu wichtigen umweltpolitischen Themen. Zunächst berät der Rat sorgfältig darüber, wo er einen wichtigen Beitrag zur Debatte leisten kann, und reflektiert über anstehende politische Entscheidungen, aktuelle Forschung, mögliche Botschaften und Adressaten.

Team der Geschäftsstelle und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Ratsmitglieder 2017
Team der Geschäftsstelle und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Ratsmitglieder 2017
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Ratssitzung im Jahr 2012
Ratssitzung im Jahr 2012
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Wenn ein Gutachten beschlossen ist, gründet sich eine Arbeitsgruppe aus Ratsmitgliedern und Referent:innen, die dem Rat regelmäßig Arbeitsstände vorlegt. Dabei wird über konkreten Zuschnitt, Struktur, Botschaften und Empfehlungen diskutiert. Wenn ein vollständiger Textentwurf vorliegt, werden Fachspezialist:innen zur Kommentierung einzelner Abschnitte gebeten (Peer Review). Auch die Ministerien erhalten einen Entwurf, der Rat entscheidet jedoch selbst, ob Änderungsvorschläge übernommen werden. In einer abschließenden Lesung im Rat werden dann nur noch schriftlich begründete Änderungen diskutiert und der Text wird – in aller Regel einvernehmlich – verabschiedet. Die Redaktion des SRU sichert die Qualität der Publikationen im Laufe des Schreibprozesses zusätzlich ab.
Ratssitzung im Jahr 2012
Ratssitzung im Jahr 2012
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Setzt die Politik die Empfehlungen des SRU um?

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Politische Entscheidungen sind das Ergebnis demokratischer Willensbildung. Politikempfehlungen sind damit nie „reine“ Wissenschaft, sondern basieren auf unterschiedlichen Wertvorstellungen, Güterabwägungen und Annahmen. Dass also wissenschaftliche Politikberatung stets vollständig umgesetzt wird, ist weder zu erwarten noch wünschenswert. Sie hat dennoch eine wichtige Funktion, indem sie auf Probleme aufmerksam macht, Lösungen analysiert und den öffentlichen Diskurs an wissenschaftliche Erkenntnisse rückbindet.

In vielen Fällen wurden Maßnahmen, die der SRU empfohlen hat, zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt. Meist lässt sich im pluralistischen Diskurs nicht exakt nachvollziehen, welchen Anteil der SRU daran hatte. Oft hat der Rat auch Vorschläge ausgearbeitet und politisch auf die Agenda gesetzt, die zuvor bereits in Wissenschaft und Zivilgesellschaft diskutiert wurden.

Vor allem in den Anfangsjahren stieß der Rat mehrfach konkrete umweltpolitische Vorhaben an, die dann in ähnlicher Form umgesetzt wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Abwasserabgabe, die der Rat 1974 vorschlug. Damals waren allerdings deutlich weniger Akteure an der Politikberatung und -formulierung beteiligt als heute (siehe auch „Wie verändert sich Politikberatung?“).
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Austausch mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze im Jahr 2018
Austausch mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze im Jahr 2018
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Auch später hat die Politik immer wieder Empfehlungen des Rates unmittelbar aufgegriffen, zum Beispiel für ein Integriertes Umweltprogramm, eine Stickstoffstrategie oder zu einer Reform der Netzplanung. Viele andere Vorschläge, beispielsweise für eine Ökologisierung der Verkehrs- und Agrarpolitik, verhallten dagegen weitgehend ungehört. Häufig nimmt der Rat eher langfristig Einfluss auf die gesellschaftliche und politische Willensbildung, auch über die klassischen und die digitalen Medien. Dabei versucht der Rat – beispielsweise durch prägnante Texte, Daten, Abbildungen und auch Vorträge – zu fachlich fundierten Diskussionen in Öffentlichkeit und Politik beizutragen. Er steht dabei in kontinuierlichem Austausch mit Politik, Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Diese Akteure nehmen häufig Bezug auf Überlegungen und Empfehlungen des Rates, die somit in die gesellschaftliche Debatte und politische Entscheidungen einfließen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit sind die Analysen zum CO2-Budget, die in der klimapolitischen Debatte starken Einfluss entwickelt haben und eine wichtige Rolle im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu den Klimaklagen spielte.

Wie viel Aufmerksamkeit eine Veröffentlichung des SRU erhält, hängt dabei auch von aktuellen Umständen ab. So erlangte das 2010 im Kontext der geplanten Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke begonnene Sondergutachten „Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung“ im Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 eine besondere Aktualität.
Austausch mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze im Jahr 2018
Austausch mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze im Jahr 2018
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Wie unabhängig ist der Rat?

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Zu Beginn war das Verhältnis zwischen Rat und Bundesregierung recht eng. Der SRU wurde als politiknaher Berater für akute Umweltprobleme konzipiert, denn es fehlte vielfach noch an Wissen über ökologische Zusammenhänge und Probleme. Vertreter:innen des damaligen Kabinettsausschusses für Umweltfragen – ein Bundesumweltministerium gab es noch nicht – nahmen oft an Ratssitzungen teil. Sie durften laut Erlass von 1971 auch Themen auf die Tagesordnung setzen und den Rat um die Erstellung von Gutachten bitten.

Später, mit dem Ausbau der Umweltverwaltung und -forschung, trat die unmittelbare Beratung in den Hintergrund. Dafür wurde die Unabhängigkeit des Rates gestärkt und formal festgeschrieben. Der Rat ist in seiner Arbeit frei und wählt die Themen seiner Gutachten selbst. Wünschen des Bundesumweltministeriums nach Beratung zu bestimmten Themen soll er Rechnung tragen. Der Erlass verpflichtet ihn auch dazu, während der Abfassung seiner Gutachten betroffenen Bundesministerien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben – ändern muss er seine Gutachten jedoch nicht.

Der Rat hat immer wieder auch unbequeme Botschaften ausgesprochen, beispielsweise dass Deutschland seine umweltpolitische Vorreiterrolle in vielen Bereichen verloren hat. Vielfach hat er politisch umstrittene Maßnahmen empfohlen, wie ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Immer wieder hat er sich auch in hitzigen politischen Kontroversen zu Wort gemeldet, zum Beispiel zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke.
Als ein damit auch im politischen Raum agierender Akteur ist er natürlich auch Kritik ausgesetzt und stellt sich dieser – in persönlichen Gesprächen, bei öffentlichen Terminen und auf Twitter.
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Wie verändert sich Politikberatung?

Der Rat auf einer gemeinsamen Bootsfahrt mit dem damaligen Bundesinnenminister zum ökologischen Zustand von Rhein und Bodensee im August 1979
Der Rat auf einer gemeinsamen Bootsfahrt mit dem damaligen Bundesinnenminister zum ökologischen Zustand von Rhein und Bodensee im August 1979
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Als der Rat 1972 gegründet wurde, war Umweltschutz ein unerschlossenes Thema mit großen Wissenslücken. Der SRU konnte in allen Bereichen grundlegend neue Analysen in die Politik einbringen. Daneben gab es einen engen und häufig persönlichen Kontakt zwischen Politikern und Beratungsgremien. In der Folge orientierten sich die Untersuchungen des Rates am politischen Bedarf (siehe auch „Wie unabhängig ist der Rat?“) und die Gutachten und ihre Empfehlungen wurden häufig direkt rezipiert.

Inzwischen sind Umweltpolitik und ihre Institutionen komplexer geworden. Verschiedene Ressorts sind verantwortlich, in einigen Bereichen prägt die EU-Ebene rechtliche Rahmenbedingungen. Viele Umweltprobleme sind wissenschaftlich zwar besser verstanden, aber die strukturelle Beseitigung der Ursachen bleibt schwierig. Gleichzeitig konkurrieren zahlreiche Berater:innen um die Aufmerksamkeit der Politik. 

Die Stärke des SRU liegt in seiner politischen Unabhängigkeit und seiner Interdisziplinarität. Er sieht seine Aufgabe darin, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen, die Kenntnisse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen problemorientiert zusammenzufassen und fundierte Lösungsvorschläge zu machen. Dabei betrachtet er verschiedene fachliche Perspektiven integriert – zum Beispiel politische und ökonomisch-technische Realisierbarkeit, Klimaschutz und Biodiversität, Umwelt und menschliche Gesundheit. Er äußert sich in aller Regel nur zu umweltpolitischen Themen, mit denen er sich zuvor im Rahmen eines Gutachtens vertieft beschäftigt hat.

Um der gestiegenen Bedeutung der EU-Umweltpolitik gerecht zu werden, beteiligt sich der Rat auch an europäischen Politikprozessen und am Europäischen Netzwerk von Umwelt- und Nachhaltigkeitsräten.

Der Rat auf einer gemeinsamen Bootsfahrt mit dem damaligen Bundesinnenminister zum ökologischen Zustand von Rhein und Bodensee im August 1979
Der Rat auf einer gemeinsamen Bootsfahrt mit dem damaligen Bundesinnenminister zum ökologischen Zustand von Rhein und Bodensee im August 1979
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Biodiversität und Landnutzung

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Das Waldsterben infolge des „sauren Regens“ veranlasste den SRU 1983 zu seinem ersten Sondergutachten im Bereich terrestrischer Naturschutz. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich die hohen Immissionen von Schwefeldioxid und Stickstoffoxiden reduzieren lassen. In jüngeren Gutachten zum Thema Wald stehen die Auswirkungen des Klimawandel, der Verlust der Biodiversität und Ökosystemleistungen stärker im Fokus. Die Aussagen des Rates zur umweltgerechten Waldnutzung im Umweltgutachten 2012 wurden von Förstern und Forstwissenschaftlern heftig kritisiert.
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Eine wesentliche Ursache für den Biodiversitätsverlust in unserer Kulturlandschaft ist die intensive Landnutzung. Bereits Mitte der 1980er-Jahre zeigte der Rat erstmals die Umweltprobleme der Landwirtschaft in Deutschland auf.

„Die außerordentliche Produktionssteigerung in Pflanzenbau und Tierhaltung der letzten Jahrzehnte hat eine problematische Lage herbeigeführt, die eine Neuorientierung sowohl agrarpolitisch als auch umweltpolitisch geboten erscheinen läßt.“

Vorwort des Sondergutachtens „Umweltprobleme der Landwirtschaft“

Die unbequemen Empfehlungen stießen auf heftigen Widerspruch bei Landwirtschaft und Politik.

„Schon im Frühjahr 1985 hatte der Bonner »Rat der Sachverständigen für Umweltfragen« in einem umfangreichen Sondergutachten eine niederschmetternde Bilanz landwirtschaftlicher Umweltsünden vorgelegt und insbesondere Maßnahmen gegen die fortwährende Überdüngung der Felder gefordert. Mit der Erhebung einer Nitratsteuer, der drastischen Ausweitung der Wasserschutzgebiete und der Einführung einer Genehmigungspflicht für Intensivbetriebe sollte der Düngewut Einhalt geboten werden. Doch genau 86 Minuten nach Veröffentlichung des Gutachtens verwarf Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle die Empfehlungen der angesehensten Umweltfachleute der Republik als »überzogen und unrealistisch«.“

Landwirtschaft - der alltägliche Irrsinn, 29.11.1987, DER SPIEGEL  
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Dreißig Jahre später kam das Umweltbundesamt in einer Studie zu dem Schluss, dass eine Reihe der Empfehlungen zwar ganz oder zum Teil umgesetzt wurden, sah aber immer noch einen großen Handlungsbedarf. So beschäftigt das Thema Landwirtschaft den Rat bis heute. Eine Reihe von Papieren hat er auch in Kooperation mit Beiräten des Landwirtschaftsministeriums erstellt (z. B. 2009, 2013, 2013, 2015). Unter anderem hat sich der SRU wiederholt für Abgaben auf Pflanzenschutzmittel und Stickstoffüberschüsse ausgesprochen.
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Zu Beginn der 2000er-Jahre plädierte der SRU für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes. Er mahnte eine stärkere Integration von Naturschutzaspekten in andere Politikbereiche an und schlug eine nationale Naturschutzstrategie vor. Um den eklatant unterfinanzierten Naturschutz zu stärken, empfahl der Rat 2017 gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums einen eigenständigen EU-Naturschutzfonds.
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SRU und WBBGR übergeben im Jahr 2018 die Stellungnahme „Für einen flächenwirksamen Insektenschutz“ an damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze
SRU und WBBGR übergeben im Jahr 2018 die Stellungnahme „Für einen flächenwirksamen Insektenschutz“ an damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze
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Zuletzt sorgte der starke Rückgang von Insekten für viel Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft. In der Stellungnahme „Für einen flächendeckenden Insektenschutz“ betonte der Rat, dass insbesondere die Einträge von Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffen reduziert werden müssten. Monotone Landschaften sollten mit Kleinstrukturen wie Hecken und Ackerrandstreifen angereichert werden. Nur wenn Landnutzung und Naturschutz künftig stärker Hand in Hand gehen, kann den großen Herausforderungen in Folge von Biodiversitätsverlust und Klimawandel begegnet werden. Besondere Synergien für Klima und Natur bietet zum Beispiel der Schutz von Moorböden, wie der SRU 2012 betont hat.
SRU und WBBGR übergeben im Jahr 2018 die Stellungnahme „Für einen flächenwirksamen Insektenschutz“ an damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze
SRU und WBBGR übergeben im Jahr 2018 die Stellungnahme „Für einen flächenwirksamen Insektenschutz“ an damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze
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Wie setzt sich der Rat zusammen? v2

Ratsmitglieder und Leitung der Geschäftsstelle 2020
Ratsmitglieder und Leitung der Geschäftsstelle 2020
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Laut Erlass besteht der Rat aus „Mitgliedern, die über besondere wissenschaftliche Kenntnisse und Erfahrungen im Umweltschutz verfügen müssen“. Sie werden vom Bundesumweltministerium vorgeschlagen und vom Bundeskabinett berufen. Bei der Zusammensetzung wird auf unterschiedliche fachliche Perspektiven geachtet. Im Unterschied zu anderen Sachverständigenräten ist der SRU stets interdisziplinär zusammengesetzt.

Bis 1990 wurden 12 Mitglieder für jeweils 3 Jahre in den Rat berufen. Dabei lag der Fokus auf den Naturwissenschaften, was von Beobachter:innen teilweise kritisiert wurde. Bis 1990 wurden ausschließlich Männer in den Rat berufen.

1990 wurde die Anzahl der Mitglieder auf 7 reduziert. Daneben berief die Bundesregierung zunehmend auch Sozialwissenschaftler:innen in den Rat. Mit Prof. Succow wurde 1992 erstmals ein angesehener Wissenschaftler aus der ehemaligen DDR in den Rat berufen. In den jüngsten beiden Ratsperioden bildeten und bilden Frauen die Mehrheit. Auch sind in der aktuellen Berufungsperiode vier von sieben Mitgliedern an ostdeutschen Forschungsinstituten und Universitäten tätig.
Ratsmitglieder und Leitung der Geschäftsstelle 2020
Ratsmitglieder und Leitung der Geschäftsstelle 2020
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Abfall- und Kreislaufwirtschaft

Ungeregelte Ablagerung der 1960er Jahre (Foto: Deutscher Rat für Landespflege)
Ungeregelte Ablagerung der 1960er Jahre (Foto: Deutscher Rat für Landespflege)
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Seit den 1960er-Jahren brachte das Wirtschaftswunder nicht nur eine komfortablere Ausstattung der Haushalte mit sich, sondern auch steigende und vielfältigere Abfallmengen. Statt Küchenabfällen, Holz, Textilien und Papier landeten nun Plastik, Verbundmaterialien, Autoreifen und Chemikalien auf ungesicherten Kippen. Das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 sollte Boden- und Grundwasserschäden, Geruch, Schädlinge und Gesundheitsrisiken vermindern. Der SRU forderte bereits 1974 ein, dass es um mehr als eine geordnete Beseitigung, nämlich eine Abfallwirtschaft, gehen müsse – mit den Zielen „weniger und ungefährliche Abfälle, geordnete Beseitigung, Investitionen in Strukturen und Bürgerberatung“ unter Anwendung des Verursacherprinzips. Im Umweltgutachten 1978 setzte der Rat dann auf Markt, Wirtschaftlichkeit und Eigenverantwortung. 

„Die im Abfallwirtschaftsprogramm enthaltenen Überlegungen zur Ergänzung des Abfallrechts im Hinblick auf Abfallverwertung und -wiederverwendung sollten nach Meinung des Rates vorerst zurückgestellt werden. Gesetzliche Regelungen zur getrennten Haltung und Sammlung von Abfällen erscheinen derzeit entbehrlich. Wo sich durch getrennte Haltung und Sammlung rentierliche Verwertungsmöglichkeiten eröffnen, dürfte eine gezielte Aufklärung ebenso wirksam sein. Für die Einführung von gesetzlichen Regelungen zur Festlegung eines Mindesteinsatzes von Altstoffen im Produktionsprozeß fehlt es nach Ansicht des Rates an aktuellen Notwendigkeiten und auch an Entscheidungsgrundlagen, die einen derart drastischen Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen rechtfertigen könnten.“

Die Erfahrung zeigt inzwischen, dass dieser Weg nicht unbedingt zum gewünschten Erfolg führte.  
Ungeregelte Ablagerung der 1960er Jahre (Foto: Deutscher Rat für Landespflege)
Ungeregelte Ablagerung der 1960er Jahre (Foto: Deutscher Rat für Landespflege)
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Als Alternative zu Abfallablagerungen wurden Müllverbrennungsanlagen gebaut, die zunehmend auf Proteste in der Bevölkerung stießen. Die Seveso-Katastrophe 1976 rückte die Emissionen von Dioxinen und Schadgasen aus Verbrennungsprozessen in das Bewusstsein einer ganzen Generation. In der Konsequenz wurden anspruchsvolle Regulierungen und Anlagentechnik entwickelt und umgesetzt. Skepsis und Ablehnung gegenüber Müllverbrennungsanlagen und Deponien blieben jedoch. Gleichzeitig entwickelte sich ein Umweltbewusstsein für Müllmengen, Abfalltrennung und Recycling. Altpapier- und Glascontainer gehörten bald zum Stadtbild. Doch die Abfallmengen stiegen weiter.
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Übergabe des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“ an den damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1990
Übergabe des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“ an den damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1990
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Den jahrzehntelangen sorglosen Umgang mit Abfällen kritisierte der SRU in Sondergutachten zu Altlasten 1989  und 1995 sowie zur Abfallwirtschaft 1990. Dies fand auch Widerhall in der Presse: 

„Die Sachverständigen bescheinigen der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft eine horrende Diskrepanz „zwischen einer hochentwickelten, wohlgeordneten Versorgungswirtschaft und einer weithin unterentwickelten, durch Unordnung und Zufälligkeit bestimmten Entsorgungswirtschaft“.

Chaos in der Abfallwirtschaft, 14.11.1990, taz

Eine Umbruchphase begann 1993 mit dem ab 2005 ausnahmslosen Verbot, Siedlungsabfälle unvorbehandelt abzulagern – in der Übergangsfrist entstanden neue Konzepte wie die mechanisch-biologische Aufbereitung, Hol- und Bringsysteme für Bioabfall, Wertstoffe oder Sonderabfälle sowie Recycling- und Vermeidungsstrategien.
Übergabe des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“ an den damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1990
Übergabe des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“ an den damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1990
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Damaliger Ratsvorsitzender Prof. Martin Faulstich bei der Vorstellung des Umweltgutachtens im Jahr 2012
Damaliger Ratsvorsitzender Prof. Martin Faulstich bei der Vorstellung des Umweltgutachtens im Jahr 2012
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In den 2000er-Jahren befasste sich der Rat mit Konsumverhalten, Herstellerverantwortung und befürchteten Rohstoffknappheiten. Der damalige Ratsvorsitzende Prof. Martin Faulstich griff die Erkenntnis des Club of Rome im Kontext des Umweltgutachtens 2012 erneut auf:

„In einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben.“

Bis in die Bild-Zeitung schaffte es der Vorschlag eines Handypfandes.  
Damaliger Ratsvorsitzender Prof. Martin Faulstich bei der Vorstellung des Umweltgutachtens im Jahr 2012
Damaliger Ratsvorsitzender Prof. Martin Faulstich bei der Vorstellung des Umweltgutachtens im Jahr 2012
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Bis heute entwickelt der SRU seine Überlegungen zu einer Kreislaufwirtschaft immer weiter fort, so zuletzt im Umweltgutachten 2020. Dabei stehen zwei Ziele im Fokus: Zum einen sollten in Zukunft Stoffströme insgesamt verringert werden. Zum anderen muss die Produktplanung bereits die Aufbereitung mitdenken, um die Rohstoffe am Ende der Nutzungsphase wieder einsetzen zu können. Dafür müssen die Nutzungs- und Lebensdauer von Produkten verlängert und die Sharing Economy gestärkt werden: Leihen statt Besitzen kann dabei für die unterschiedlichsten Produkte funktionieren und den ökologischen Fußabdruck bei gleichem Komfort deutlich reduzieren. 
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Wie arbeitet der SRU? v2

Team der Geschäftsstelle und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Ratsmitglieder 2017
Team der Geschäftsstelle und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Ratsmitglieder 2017
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Der Rat wird in seiner Arbeit durch eine Geschäftsstelle in Berlin wissenschaftlich und organisatorisch unterstützt. So stehen hinter den Ratsmitgliedern rund 25 weitere Mitarbeiter:innen.

Hauptaufgabe des SRU ist die Veröffentlichung von Gutachten zu wichtigen umweltpolitischen Themen. Zunächst berät der Rat sorgfältig darüber, wo er einen wichtigen Beitrag zur Debatte leisten kann, und reflektiert über anstehende politische Entscheidungen, aktuelle Forschung, mögliche Botschaften und Adressaten.
Team der Geschäftsstelle und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Ratsmitglieder 2017
Team der Geschäftsstelle und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der Ratsmitglieder 2017
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Ratssitzung im Jahr 2012
Ratssitzung im Jahr 2012
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Wenn ein Gutachten beschlossen ist, gründet sich eine Arbeitsgruppe aus Ratsmitgliedern und Referent:innen, die dem Rat regelmäßig Arbeitsstände vorlegt. Dabei wird über konkreten Zuschnitt, Struktur, Botschaften und Empfehlungen diskutiert. Wenn ein vollständiger Textentwurf vorliegt, werden Fachspezialist:innen zur Kommentierung einzelner Abschnitte gebeten (Peer Review). Auch die Ministerien erhalten einen Entwurf, der Rat entscheidet jedoch selbst, ob Änderungsvorschläge übernommen werden. In einer abschließenden Lesung im Rat werden dann nur noch schriftlich begründete Änderungen diskutiert und der Text wird – in aller Regel einvernehmlich – verabschiedet. Die Redaktion des SRU sichert die Qualität der Publikationen im Laufe des Schreibprozesses zusätzlich ab.
Ratssitzung im Jahr 2012
Ratssitzung im Jahr 2012
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Konzepte, Strategien und Instrumente

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Grafische Darstellung des „Umweltsystems“ aus dem Umweltgutachten von 1974
Grafische Darstellung des „Umweltsystems“ aus dem Umweltgutachten von 1974
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Die Diskussion über Konzepte, Strategien und Instrumente war von Anfang an Teil des Umweltdiskurses, zu dem der SRU beitrug. In frühen Werken des Rates, besonders im Umweltgutachten 1974, lassen sich noch Anleihen der Kybernetik der 1960er-Jahre erkennen. Im Gutachten wurde die für Volkswirtschaften verbreitete keynesianische Idee einer Globalsteuerung auf die Ökologie übertragen.

Daneben überlegte der Rat, wie Umweltschutz strategisch gestärkt werden könnte. Er empfahl bereits 1974, ein Grundrecht auf menschenwürdige Umwelt in das Grundgesetz aufzunehmen, die Bevölkerung aktiver über Umweltprobleme aufzuklären und die Klagerechte von Umweltverbänden zu stärken. Viele dieser Themen verfolgte der SRU weiter. So griff er das Verbandsklagerecht 2005 in einer Stellungnahme auf, als Deutschland eine europäische Richtlinie zu Öffentlichkeitsbeteiligungsrechten unzureichend umzusetzen drohte.
Grafische Darstellung des „Umweltsystems“ aus dem Umweltgutachten von 1974
Grafische Darstellung des „Umweltsystems“ aus dem Umweltgutachten von 1974
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Seit den 1970er-Jahren setzte sich der Rat immer wieder für ökonomische Instrumente ein, beispielsweise eine Abwasserabgabe. Damit sollten die Verursacher von Umweltproblemen Anreize erhalten, die Belastungen zur reduzieren. Damals waren ökonomische Instrumente aus grundsätzlichen ethischen und rechtlichen Erwägungen noch stärker umstritten. Später empfahl der SRU einen Flächenzertifikatehandel: Um den zu hohen Flächenverbrauch zu verringern, würden die Kommunen jährlich Anrechte erhalten, Fläche als Siedlungs- und Verkehrsfläche neu auszuweisen. Im zweiten Schritt könnten Kommunen entscheiden, ob sie diese Zertifikate nutzen oder an andere Kommunen verkaufen. Im Energiebereich befürwortete der Rat eine umfassende ökologische Steuerreform und trat als klarer Verfechter eines möglichst sektorübergreifenden europäischen Emissionshandels auf (2002, 2004, 2006). Er sah aber zunehmend die Notwendigkeit, ökonomische Instrumente durch weitere Maßnahmen zu flankieren (2007, 2010). Zudem betonte er, dass es für eine innovationsorientierte Umweltpolitik nicht nur auf die Wahl des Instruments, sondern auch auf klare Zielvorgaben und einen dialogorientierten Politikstil ankomme.
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Darstellung der drohenden Zielverfehlung der Nachhaltigkeitsziele im Sondergutachten 2019 „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“.
Darstellung der drohenden Zielverfehlung der Nachhaltigkeitsziele im Sondergutachten 2019 „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“.
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Ein wichtiges Anliegen war für den Rat schon früh eine zielorientierte Umweltpolitik:  

„Umweltschutz muß auf Ziele ausgerichtet sein. Im Vordergrund müssen Umweltqualitätsziele, d. h. auf die Immission bezogene Ziele, stehen. […] Der Rat betont nachdrücklich, daß in Qualitätsziele ein vom Vorsorgeprinzip vorgegebener Sicherheitsabstand eingebaut sein muß, der verhindert, daß Systeme bis an den Rand ihrer Funktionsfähigkeit belastet werden.

Umweltgutachten 1987  

In der globalen Debatte über nachhaltige Entwicklung in der Folge der Rio-Konferenz 1992 setzte sich der SRU für das Konzept einer „dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung“ ein. Diese soll sicherstellen, dass Naturkapital langfristig erhalten bleibt und nicht – oder nur in engen Grenzen – durch Human- und Sachkapital ersetzt wird. Die Idee, alle Umweltziele in einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu integrieren, beurteilte der Rat im Umweltgutachten 1998 hingegen zunächst ambivalent. Er betonte das Risiko, dass solch ein Vorhaben auch zu Verzögerungen führen oder sogar scheitern könnte. Nachdem sich die damalige Bundesregierung jedoch die Einführung einer Nachhaltigkeitsstrategie vorgenommen hatte, beteiligte sich der Rat im Umweltgutachten 2000 konstruktiv und begleitet ihre Fortentwicklung seitdem.
Darstellung der drohenden Zielverfehlung der Nachhaltigkeitsziele im Sondergutachten 2019 „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“.
Darstellung der drohenden Zielverfehlung der Nachhaltigkeitsziele im Sondergutachten 2019 „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“.
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Ein weiteres wichtiges Thema des SRU war die Umweltverwaltung. Schon 1976 hatte er ein „Vollzugsdefizit“ kritisiert und bei Prof. Renate Mayntz eine umfassende empirische Untersuchung der Vollzugsmängel und ihrer Ursachen beauftragt. Rund 30 Jahre später kam er in einer weiteren Analyse zu dem Ergebnis, dass die Umweltverwaltungen ihre Aufgaben wegen Personalabbau kaum noch angemessen erfüllen könnten und mahnte eine bessere Ausstattung der Behörden an.    

„Darf eine Eiche gefällt werden? Muss eine Fabrikbesitzer [sic] Strafe zahlen, weil er Abwässer in einen Bach eingeleitet hat? Diese Frage bleiben   immer öfter offen – und Akten liegen. Die Zuständigen in den Behörden „sind an den Grenzen der Leistungsfähigkeit“, warnte gestern der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU).“

Gestrichen: Jobs in Umweltverwaltung, 23.02.2007, taz
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Diskussionsveranstaltung zum Sondergutachten 2019 mit Prof. Patrizia Nanz, Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht, Ernst Ulrich von Weizsäcker und damaligem Ratsmitglied Prof. Christian Calliess
Diskussionsveranstaltung zum Sondergutachten 2019 mit Prof. Patrizia Nanz, Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht, Ernst Ulrich von Weizsäcker und damaligem Ratsmitglied Prof. Christian Calliess
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Das kurz vor dem Aufkommen der Fridays-for-Future-Bewegung begonnene Sondergutachten „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen“ war von der Erkenntnis motiviert, dass ein ausreichendes politisches Umsteuern trotz besorgniserregender Umweltzerstörung bisher nicht gelang. Der Rat arbeitete die Legitimation einer Umweltpolitik heraus, die ökologischer Grenzen einhält und schlug verschiedene Reformen vor, die den Umweltschutz in Politik und Verwaltung stärken sollten.  
Diskussionsveranstaltung zum Sondergutachten 2019 mit Prof. Patrizia Nanz, Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht, Ernst Ulrich von Weizsäcker und damaligem Ratsmitglied Prof. Christian Calliess
Diskussionsveranstaltung zum Sondergutachten 2019 mit Prof. Patrizia Nanz, Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht, Ernst Ulrich von Weizsäcker und damaligem Ratsmitglied Prof. Christian Calliess
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Setzt die Politik die Empfehlungen des SRU um? v2

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Politische Entscheidungen sind das Ergebnis demokratischer Willensbildung. Politikempfehlungen sind damit nie „reine“ Wissenschaft, sondern basieren auf unterschiedlichen Wertvorstellungen, Güterabwägungen und Annahmen. Dass also wissenschaftliche Politikberatung stets vollständig umgesetzt wird, ist weder zu erwarten noch wünschenswert. Sie hat dennoch eine wichtige Funktion, indem sie auf Probleme aufmerksam macht, Lösungen analysiert und den öffentlichen Diskurs an wissenschaftliche Erkenntnisse rückbindet.

In vielen Fällen wurden Maßnahmen, die der SRU empfohlen hat, zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt. Meist lässt sich im pluralistischen Diskurs nicht exakt nachvollziehen, welchen Anteil der SRU daran hatte. Oft hat der Rat auch Vorschläge ausgearbeitet und politisch auf die Agenda gesetzt, die zuvor bereits in Wissenschaft und Zivilgesellschaft diskutiert wurden.

Vor allem in den Anfangsjahren stieß der Rat mehrfach konkrete umweltpolitische Vorhaben an, die dann in ähnlicher Form umgesetzt wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Abwasserabgabe, die der Rat 1974 vorschlug. Damals waren allerdings deutlich weniger Akteure an der Politikberatung und -formulierung beteiligt als heute (siehe auch „Wie verändert sich Politikberatung?“).
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Austausch mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze im Jahr 2018
Austausch mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze im Jahr 2018
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Auch später hat die Politik immer wieder Empfehlungen des Rates unmittelbar aufgegriffen, zum Beispiel für ein Integriertes Umweltprogramm, eine Stickstoffstrategie oder zu einer Reform der Netzplanung. Viele andere Vorschläge, beispielsweise für eine Ökologisierung der Verkehrs- und Agrarpolitik, verhallten dagegen weitgehend ungehört. Häufig nimmt der Rat eher langfristig Einfluss auf die gesellschaftliche und politische Willensbildung, auch über die klassischen und die digitalen Medien. Dabei versucht der Rat – beispielsweise durch prägnante Texte, Daten, Abbildungen und auch Vorträge – zu fachlich fundierten Diskussionen in Öffentlichkeit und Politik beizutragen. Er steht dabei in kontinuierlichem Austausch mit Politik, Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Diese Akteure nehmen häufig Bezug auf Überlegungen und Empfehlungen des Rates, die somit in die gesellschaftliche Debatte und politische Entscheidungen einfließen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit sind die Analysen zum CO2-Budget, die in der klimapolitischen Debatte starken Einfluss entwickelt haben und eine wichtige Rolle im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu den Klimaklagen spielte.

Wie viel Aufmerksamkeit eine Veröffentlichung des SRU erhält, hängt dabei auch von aktuellen Umständen ab. So erlangte das 2010 im Kontext der geplanten Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke begonnene Sondergutachten „Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung“ im Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 eine besondere Aktualität.
Austausch mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze im Jahr 2018
Austausch mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze im Jahr 2018
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Umwelt und Gesundheit

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Abbildung aus dem Umweltgutachten 1978
Abbildung aus dem Umweltgutachten 1978
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„Die Gefährdung menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit durch Umwelteinflüsse ist eines der wichtigsten Probleme, mit denen sich der Umweltschutz zu befassen hat“ stellte der Rat bereits in seinem zweiten Umweltgutachten 1978 fest. Neben den Luftschadstoffen standen zunächst die Belastungen durch Blei, Cadmium, Asbest und bestimmte organische Schadstoffe im Vordergrund.
Abbildung aus dem Umweltgutachten 1978
Abbildung aus dem Umweltgutachten 1978
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Bei einigen neuartigen, umweltbezogenen Gesundheitsrisiken überwogen anfangs vorsichtige Einschätzungen und die Appelle des Rates, das Wissen zur Wirkung von Umweltschadstoffen weiter zu vertiefen, so beispielsweise im Umweltgutachten 1974. 1999 schrieb der Umweltrat zu möglichen hormonähnlichen Wirkungen von synthetisch erzeugten Stoffen, dass nach gegenwärtigem Stand der Erkenntnisse eine Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit hierdurch eher unwahrscheinlich sei. Diese Ansicht revidierte der Rat angesichts neuer Erkenntnisse in seinem Umweltgutachten von 2004:

„…das Beispiel der Phthalate [zeigt], dass die Belastung des Menschen mit synthetisch her gestellten Stoffen, die derartige wirkspezifische Eigenschaften aufweisen, in diesem einen Fall deutlich kritischer zu bewerten ist als bisher angenommen.“

Dass bei wissenschaftlicher Unsicherheit das Vorsorgeprinzip gelten muss, hatte der Rat bereits im Umweltgutachten 1987 betont. Darin stellte er im Hinblick auf die Schadstoffbelastung in Lebensmitteln fest, dass eine zufriedenstellende Charakterisierung der Belastungssituation derzeit nicht möglich sei. Trotzdem kam der Rat zur Auffassung, dass bei bestimmten Stoffen (chlororganischen Pestiziden, Blei, Cadmium und Nitrat) die Grenzen zumutbarer Belastungen der Bevölkerung durch Verunreinigungen in Lebensmitteln erreicht oder überschritten seien und er empfahl wirksame Maßnahmen zur Begrenzung und Verminderung des Eintrags solcher Stoffe in die Umwelt.
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Auch die Entwicklung der Chemikaliengesetzgebung begleitete der Umweltrat bereits 1979 mit einer Stellungnahme. In einer Pressekonferenz im selben Jahr kritisierte er den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Umweltchemikaliengesetzes als unzureichend:

„Scharfe Kritik hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen am Entwurf eines Umweltchemikaliengesetzes der Bundesregierung geübt, das giftige und krebserregende sowie umweltverseuchende Stoffe möglichst frühzeitig aufspüren soll. Der Vorsitzende des zwölf Mitglieder zählenden Rates, Prof. Hartmut Bick, erklärte am Dienstag in Bonn, das Gesetz tauge nichts. Es sei ein Ansatz, aber ein schlechter.“

Umweltrat kritisiert das Chemikalien-Gesetz, 19.09.1979, Nordwestzeitung

In den folgenden Jahren gab es in den Umweltgutachten regelmäßig Empfehlungen zur Verbesserung der Chemikalienregulierung (z. B. 1994, 1996, 2000). Als im Februar 2002 die Europäische Kommission ein Weißbuch zur Chemikalienpolitik vorlegte, begrüßte der Rat in seinem Umweltgutachten die darin geplante Reform des europäischen Chemikalienrechts als Chance für einen deutlich vorsorgeorientierteren Ansatz der Chemikalienpolitik.

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Bereits in seinem ersten Sondergutachten „Auto und Umwelt“  1973 hatte der Umweltrat die Gesundheitsgefahren durch Luftschadstoffe (u. a. Ruß- und Bleiemissionen) ausführlich behandelt. Er forderte, dass Abgasemissionswerte für Kraftfahrzeuge weiter gesenkt werden sollten. Schon 2005 wies der Rat darauf hin, dass es eine Diskrepanz zwischen Abgasemissionen auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb gab. 2015 kam es dann zum Dieselskandal, als unerlaubte Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Dieselfahrzeugen entdeckt wurden. Es folgten in der Öffentlichkeit kontroverse Diskussionen über Nachrüstungen und Fahrverbotszonen für betroffene Dieselfahrzeuge. Dabei wurde die gesundheitliche Relevanz von Stickstoffoxid-Emissionen von Teilen der Öffentlichkeit und Politik grundsätzlich infrage gestellt. In einer Pressemitteilung vom 30.06.2017 betonte die Ratsvorsitzende Claudia Hornberg hingegen die zweifelsfreie wissenschaftliche Studienlage zur Gesundheitsgefährdung und erklärte: „Stickstoffoxide (NOx) bleiben eine Herausforderung für den Gesundheitsschutz.“
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Der Schutz vor Verkehrslärm ist ein weiteres Gesundheitsthema, das sich durch viele SRU-Gutachten zieht (z.B. 1973, 2005). Die Empfehlungen, die der Umweltrat 1999 zum Schutz vor umweltbedingtem Lärm gab und die sich auf die Lärmpegel für bestehende Straßen und Schienenwege in Wohngebieten bezogen, waren auch Jahre später noch aktuell. Im Umweltgutachten 2004 stellte der Rat fest, dass dem für die Genehmigung von Flughäfen zentralen Luftverkehrsgesetz seit 44 Jahren ein untergesetzliches Regelwerk mit eindeutigen und adäquaten Grenzwerten zum Schutz vor Lärm fehle. Ohne dieses würde der Schutz vor Fluglärm nicht durchgesetzt. In einem Sondergutachten 2014 konstatierte der SRU, dass der Flugverkehr mit seinem Lärm vom geltenden Recht unangemessen privilegiert würde. Auch im Umweltgutachten 2020 sah der SRU noch erheblichen Handlungsbedarf in Bezug auf den Lärmschutz bei den verschiedenen Verkehrsträgern.
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Wie unabhängig ist der Rat? v2

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Zu Beginn war das Verhältnis zwischen Rat und Bundesregierung recht eng. Der SRU wurde als politiknaher Berater für akute Umweltprobleme konzipiert, denn es fehlte vielfach noch an Wissen über ökologische Zusammenhänge und Probleme. Vertreter:innen des damaligen Kabinettsausschusses für Umweltfragen – ein Bundesumweltministerium gab es noch nicht – nahmen oft an Ratssitzungen teil. Sie durften laut Erlass von 1971 auch Themen auf die Tagesordnung setzen und den Rat um die Erstellung von Gutachten bitten. Später, mit dem Ausbau der Umweltverwaltung und -forschung, trat die unmittelbare Beratung in den Hintergrund. Dafür wurde die Unabhängigkeit des Rates gestärkt und formal festgeschrieben. Der Rat ist in seiner Arbeit frei und wählt die Themen seiner Gutachten selbst. Wünschen des Bundesumweltministeriums nach Beratung zu bestimmten Themen soll er Rechnung tragen. Der Erlass verpflichtet ihn auch dazu, während der Abfassung seiner Gutachten betroffenen Bundesministerien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben – ändern muss er seine Gutachten jedoch nicht. Der Rat hat immer wieder auch unbequeme Botschaften ausgesprochen, beispielsweise dass Deutschland seine umweltpolitische Vorreiterrolle in vielen Bereichen verloren hat. Vielfach hat er politisch umstrittene Maßnahmen empfohlen, wie ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Immer wieder hat er sich auch in hitzigen politischen Kontroversen zu Wort gemeldet, zum Beispiel zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Als ein damit auch im politischen Raum agierender Akteur ist er natürlich auch Kritik ausgesetzt und stellt sich dieser – in persönlichen Gesprächen, bei öffentlichen Terminen und auf Twitter.
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Energie und Klima

Die Ölkrise 1973 zeigte auf, wie abhängig die deutsche Energieversorgung von fossilen Importen war. Dass in Reaktion darauf die Atomkraft ausgebaut werden sollte, stieß jedoch auf erheblichen gesellschaftlichen Widerstand. 1981 widmete sich der SRU dem Thema der Energieversorgung erstmals in einem Sondergutachten mit dem Titel „Energie und Umwelt“. Der Rat beschäftigte sich dabei mit Schadstoffemissionen aus Kohleverbrennung und den Risiken der Kernenergie. Manche der damaligen Empfehlungen sind heute noch relevant. So sprach sich der Rat dafür aus, die erneuerbaren Energien und die Kraft-Wärme-Kopplung stärker auszubauen sowie energieeffizienter zu nutzen. Möglichen Klimaveränderungen durch CO2-Emissionen wurden hingegen nur vier Seiten gewidmet. Das Fazit, welches aus heutiger Sicht eine Fehleinschätzung darstellt, lautete:

„Der Rat mißt nach Abwägung aller bekannt gewordenen Fakten der CO2-Belastung aus dem Verbrauch fossiler Brennstoffe keine wesentliche Bedeutung für das globale Klima zu. Der vielschichtige Problemkreis sollte aber weiterhin aufmerksam verfolgt werden.“ 

Sondergutachten "Energie und Umwelt", S. 68
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Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (1. v. l.) und Umweltministerin Angela Merkel mit Industrievertretern bei der Verkündung der „Vereinbarung zur Klimavorsorge“ 1995, einer Selbstverpflichtung der Industrie zur Senkung der CO2-Emissionen, im Jahr 1995
Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (1. v. l.) und Umweltministerin Angela Merkel mit Industrievertretern bei der Verkündung der „Vereinbarung zur Klimavorsorge“ 1995, einer Selbstverpflichtung der Industrie zur Senkung der CO2-Emissionen, im Jahr 1995
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Die Forschungslage zu diesem Thema verbesserte sich jedoch in der Folgezeit. In den 1990er-Jahren sah der Rat den CO2-Ausstoß durch fossile Energieträger als eine zentrale umweltpolitische Herausforderung. Daher beschäftigte er sich im Umweltgutachten 1996 und in weiteren Publikationen immer wieder ausführlich mit der Ausgestaltung einer ökologischen Steuerreform in Form einer CO2-Steuer oder eines Emissionshandels. Bei der öffentlichen Vorstellung des Umweltgutachtens 1996 warnte der Rat vor allem davor, das Problem immer weiter in die Zukunft zu verschieben:

„„Im Grunde hat sich seit 1988 nichts Wesentliches getan“, so der Ökonom [und Ratsmitglied Prof. Hans-Jürgen] Ewers. Wegen der Untätigkeit der Kohl-Regierung werde es immer schwieriger, eine Verringerung der Kohlendioxidemissionen um 25 Prozent [bis 2005 im Vergleich zu 1990] zu erreichen. Wenn die Bundesregierung ihr Ziel noch erreichen wolle, müsse sie jetzt die Energiesteuern so deutlich erhöhen, daß es „eine ziemliche Blutspur hinterläßt“. Im Gutachten ist von einer notwendigen Steuerbelastung von 215 Mark pro Tonne Kohlendioxid die Rede.“

Wer nichts tut, muß später mehr zahlen, 08.05.1996, taz
Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (1. v. l.) und Umweltministerin Angela Merkel mit Industrievertretern bei der Verkündung der „Vereinbarung zur Klimavorsorge“ 1995, einer Selbstverpflichtung der Industrie zur Senkung der CO2-Emissionen, im Jahr 1995
Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (1. v. l.) und Umweltministerin Angela Merkel mit Industrievertretern bei der Verkündung der „Vereinbarung zur Klimavorsorge“ 1995, einer Selbstverpflichtung der Industrie zur Senkung der CO2-Emissionen, im Jahr 1995
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In den 2000er-Jahren beteiligte sich der Rat an zahlreichen klimapolitischen Debatten, wie dem naturverträglichen Ausbau der Offshore-Windenergie. Auch sah er früh die Gefahr von zu vielen Ausnahmeregelungen im Europäischen Emissionshandel und beurteilte den ökologisch fragwürdigen Einsatz von Biomasse als Kraftstoff kritisch. Anbaubiomasse sollte stattdessen im Wärme- und Stromsektor verwendet werden – eine Empfehlung, die der Rat heute aufgrund des Potenzials der Agri-Photovoltaik so wohl nicht mehr geben würde.
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Damaliges Ratsmitglied Prof. Olav Hohmeyer: „Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit hohen Anteilen von Kohle oder Kernkraft an der Stromversorgung nicht vereinbar.“
Damaliges Ratsmitglied Prof. Olav Hohmeyer: „Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit hohen Anteilen von Kohle oder Kernkraft an der Stromversorgung nicht vereinbar.“
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Der SRU kritisierte, dass die Bundesregierung 2010 eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke beschloss. In seinen Untersuchungen zeigte er, dass eine 100 % erneuerbare, wettbewerbsfähige und zuverlässige Stromversorgung bis 2050 machbar sei. Auf den Reaktorunfall von Fukushima erfolgte in Deutschland 2011 dann das erneute politische Bekenntnis zum Atomausstieg und zu einer beschleunigten Energiewende.
Damaliges Ratsmitglied Prof. Olav Hohmeyer: „Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit hohen Anteilen von Kohle oder Kernkraft an der Stromversorgung nicht vereinbar.“
Damaliges Ratsmitglied Prof. Olav Hohmeyer: „Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit hohen Anteilen von Kohle oder Kernkraft an der Stromversorgung nicht vereinbar.“
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In den folgenden Jahren trieb den Rat vor allem die Tatsache um, dass Deutschland seine Vorreiterrolle im Klimaschutz eingebüßt hatte. Die sektoralen Emissionsminderungen passten nicht zu den klimapolitischen Zielen. In zwei Gutachten 2015 und 2017 begründete der Rat die Notwendigkeit eines sofort zu beginnenden Kohleausstiegs, der sich an den Klimazielen orientieren müsse. Dabei entwickelte der Rat auch Empfehlungen für einen sozialverträglichen Strukturwandel in ostdeutschen Braunkohlerevieren. Mit dem Kapitel „Pariser Klimaziele erreichen mit dem CO2-Budget“ im Umweltgutachten 2020 stieß der Rat schließlich eine erneute gesellschaftliche und politische Debatte zur Frage an, ob die deutschen Klimaziele mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel seien.  
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Bericht über offenen Brief des Umweltrats an die Bundesregierung, Tagesschau vom 17.09.2019

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Wie verändert sich Politikberatung? v2

Der Rat auf einer gemeinsamen Bootsfahrt mit dem damaligen Bundesinnenminister zum ökologischen Zustand von Rhein und Bodensee im August 1979
Der Rat auf einer gemeinsamen Bootsfahrt mit dem damaligen Bundesinnenminister zum ökologischen Zustand von Rhein und Bodensee im August 1979
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Als der Rat 1972 gegründet wurde, war Umweltschutz ein unerschlossenes Thema mit großen Wissenslücken. Der SRU konnte in allen Bereichen grundlegend neue Analysen in die Politik einbringen. Daneben gab es einen engen und häufig persönlichen Kontakt zwischen Politikern und Beratungsgremien. In der Folge orientierten sich die Untersuchungen des Rates am politischen Bedarf (siehe auch „Wie unabhängig ist der Rat?“) und die Gutachten und ihre Empfehlungen wurden häufig direkt rezipiert.

Inzwischen sind Umweltpolitik und ihre Institutionen komplexer geworden. Verschiedene Ressorts sind verantwortlich, in einigen Bereichen prägt die EU-Ebene rechtliche Rahmenbedingungen. Viele Umweltprobleme sind wissenschaftlich zwar besser verstanden, aber die strukturelle Beseitigung der Ursachen bleibt schwierig. Gleichzeitig konkurrieren zahlreiche Berater:innen um die Aufmerksamkeit der Politik.

Die Stärke des SRU liegt in seiner politischen Unabhängigkeit und seiner Interdisziplinarität. Er sieht seine Aufgabe darin, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen, die Kenntnisse verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen problemorientiert zusammenzufassen und fundierte Lösungsvorschläge zu machen. Dabei betrachtet er verschiedene fachliche Perspektiven integriert – zum Beispiel politische und ökonomisch-technische Realisierbarkeit, Klimaschutz und Biodiversität, Umwelt und menschliche Gesundheit. Er äußert sich in aller Regel nur zu umweltpolitischen Themen, mit denen er sich zuvor im Rahmen eines Gutachtens vertieft beschäftigt hat.

Um der gestiegenen Bedeutung der EU-Umweltpolitik gerecht zu werden, beteiligt sich der Rat auch an europäischen Politikprozessen und am Europäischen Netzwerk von Umwelt- und Nachhaltigkeitsräten.
Der Rat auf einer gemeinsamen Bootsfahrt mit dem damaligen Bundesinnenminister zum ökologischen Zustand von Rhein und Bodensee im August 1979
Der Rat auf einer gemeinsamen Bootsfahrt mit dem damaligen Bundesinnenminister zum ökologischen Zustand von Rhein und Bodensee im August 1979
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Verkehr und Mobilität

Bereits das erste Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973 nahm den motorisierten Individualverkehr in den Blick. Ausgangspunkt für den Rat war, dass der motorisierte Individualverkehr nicht nur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt, sondern auch große ökologische und gesundheitliche Probleme mit sich gebracht hatte, zum Beispiel Luftverschmutzung und Lärm. Das Gutachten erschien neun Tage vor dem Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges und dem Beginn der 1. Ölkrise, welche das Verhältnis der Gesellschaft zum Automobil verändern sollte. Die Empfehlungen – unter anderem eine integrierte Verkehrsplanung über alle Verkehrsträger, die Sperrung belasteter Innenstädte für den Individualverkehr und Parkgebühren sowie die Förderung von Fahrzeugen mit Flüssiggas- und Elektroantrieben – lesen sich weiterhin aktuell. Aus heutiger Sicht überrascht, dass der Radverkehr nicht erwähnt wird.
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Grafische Darstellung aus dem Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973
Grafische Darstellung aus dem Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973
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Wenige Themen mit Umweltbezug lösten in der Geschichte des Rats so emotionale Reaktionen aus wie Vorschläge für eine nachhaltige Mobilität und Überlegungen zur nachhaltigen Gestaltung des Autoverkehrs. Das galt auch für das damalige Sondergutachten. Das Medienecho war teilweise entrüstet („Mit dem großen Hammer gegen das Auto“, Frankfurter Abendpost am 19.10.1973), es gab aber auch unterstützende Berichterstattung zum Gutachten:

 „Mag das einstimmig verabschiedete Programm engagierten Gegnern des Autos als hilfreiches Herumkurieren an Symptomen erscheinen, so dürfte es den betroffenen Interessengruppen immer noch ausreichend Zündstoff für erbitterte Polemiken liefern. […]

Was haben nun Deutschlands Autofahrer zu fürchten, was zu hoffen? In jedem Fall werden sie mit steigenden finanziellen Belastungen zu rechnen haben und mit Einschränkungen ihrer Freizügigkeit dort, wo es im Interesse der Allgemeinheit, einer gesunderen Umwelt und damit verbesserter Lebensqualität unumgänglich erscheint. […]

Doch den kostbaren Besitz des Autofahrers will niemand antasten. Die Gutachter respektieren vom Auto geprägte Verhaltensweisen und Siedlungsstrukturen, die diesen Besitz so vielen unverzichtbar erscheinen lassen, und lehnen einen radikalen Kurswechsel ab. Sie wären zufrieden, wenn es gelänge, die Zuwachsraten beim Kraftfahrzeugbestand drastisch zu reduzieren und damit zu verhindern, das der von Fachleuten angenommene, in der Bundesrepublik bereits erreichte Sättigungswert (300 Personenkraftwagen auf 1000 Einwohner) nicht unkontrolliert weiter hinausgeschoben wird.“

1983: Der Fußgänger geht vor, Zeit Ausgabe 48/1973

Die damals erhoffte Sättigung trat leider nicht ein. So beträgt die Pkw-Dichte heute rund 580 Pkw auf 1.000 Einwohnende. Parallel verdoppelte sich die mit dem Pkw zurückgelegte Verkehrsleistung.
Grafische Darstellung aus dem Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973
Grafische Darstellung aus dem Sondergutachten „Auto und Umwelt“ aus dem Jahr 1973
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In den 1990er- und 2000er-Jahren wuchs das Bewusstsein über die Klimawirkung des Individualverkehrs. Im Umweltgutachten 1994 beschäftigte sich der Rat ausführlich mit Instrumenten, um Klimawirkung, Lärm und Luftverschmutzung des Verkehrs zu reduzieren. Im Mittelpunkt standen dabei ökonomische Instrumente wie zeitabhängige Straßennutzungsgebühren. Wie bei vergleichbaren aktuellen Debatten war die öffentliche Reaktion ablehnend. Insbesondere höhere Spritpreise sorgten schon damals medial für viele Kontroversen.

„Wir sind uns darüber im Klaren, daß, wenn wir die CO2-Minderungsziele, von anderen Minderungszielen gar nicht zu reden, erreichen wollen, daß dann der Benzinpreis erheblich höher sein muß als er heute ist. Wir halten die Vorstellung, daß man den Benzinpreis bis zum Jahr 2005 in eine Größenordnung von vier bis fünf Mark bringt, für realistisch.“

Prof. Hans-Jürgen Ewers anlässlich der Übergabe des Umweltgutachtens 1994
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Der SRU übergibt sein Sondergutachten zu „Umwelt und Straßenverkehr“
Der SRU übergibt sein Sondergutachten zu „Umwelt und Straßenverkehr“
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Eine europäische Verschärfung der Grenzwerte für Feinstaub sorgte Mitte der 2000er-Jahre für erneuten politischen Handlungsdruck. Der Rat veröffentlichte 2005 ein Sondergutachten „Umwelt und Straßenverkehr“. Statt die Probleme jedoch am Auspuff lösen zu wollen, forderte der Rat einen ganzheitlichen Wandel für mehr individuelle Mobilität bei insgesamt weniger Verkehr. Dominiert wurde die öffentliche Debatte zum Gutachten jedoch abermals durch umstrittene Einzelmaßnahmen wie die Empfehlung eines allgemeinen Tempolimits.
Der SRU übergibt sein Sondergutachten zu „Umwelt und Straßenverkehr“
Der SRU übergibt sein Sondergutachten zu „Umwelt und Straßenverkehr“
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Grafik zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen aus dem Sondergutachten „Umsteuern erforderlich - Klimaschutz im Verkehrssektor“ aus dem Jahr 2017
Grafik zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen aus dem Sondergutachten „Umsteuern erforderlich - Klimaschutz im Verkehrssektor“ aus dem Jahr 2017
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In den letzten Jahren rückte neben dem Verkehrslärm die Luftverschmutzung mit Stickstoffoxiden in den Mittelpunkt der Diskussion. Diese lag in vielen Städten über den Grenzwerten der europäischen Luftqualitätsrichtlinie. Auch die stagnierenden CO2-Emissionen des Verkehrs verstärkten den politischen Handlungsdruck. In einem Sondergutachten 2017 gab der Rat Empfehlungen für einen schnellen Markthochlauf der Elektromobilität. Er empfahl unter anderem eine Zulassungsquote für Elektrofahrzeuge und eine ökologische Ausrichtung der Energiesteuern. Daneben betonte er die Notwendigkeit, diese Antriebswende in eine ganzheitliche, menschengerechte Neugestaltung des Mobilitätssystems einzubetten. Dazu sollten Verkehrsvermeidung und -verlagerung in den Mittelpunkt gestellt werden.

Wie dies in den Städten und Kommunen gelingen könnte, wo das Auto für viele Wege gar nicht notwendig ist, stellte ein Kapitel des Umweltgutachtens 2020 in den Mittelpunkt. In diesem ging es um die Frage, welche bundespolitischen Weichenstellungen eine Mobilitätswende hin zu mehr Lebensqualität in den Städten ermöglichen würden. Dazu sollte vor allem die aktive Mobilität zu Fuß und mit dem Rad gestärkt werden.  
Grafik zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen aus dem Sondergutachten „Umsteuern erforderlich - Klimaschutz im Verkehrssektor“ aus dem Jahr 2017
Grafik zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen aus dem Sondergutachten „Umsteuern erforderlich - Klimaschutz im Verkehrssektor“ aus dem Jahr 2017
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Meere und Binnengewässer

Von einem Rheinfischer gefangene, tote Fische im Jahr 1969
Von einem Rheinfischer gefangene, tote Fische im Jahr 1969
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Ende der 1960er-Jahre zeigten sich in den Flüssen zunehmend die negativen Folgen der wirtschaftlichen Entwicklung. So kam es im Juni 1969 zu einem großen Fischsterben im Rhein. Von Bingen bis nach Rotterdam erstreckte sich ein Band aus verendeten Fischen. Verursacht wurde diese Umweltkatastrophe durch das inzwischen in der EU verbotene Insektizid Endosulfan. Wie dieser Wirkstoff in das Wasser gelangte, konnte nicht vollständig aufgeklärt werden.
Von einem Rheinfischer gefangene, tote Fische im Jahr 1969
Von einem Rheinfischer gefangene, tote Fische im Jahr 1969
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Dabei standen damals Schadstoffbelastungen im Vordergrund. Nicht nur die zunehmende industrielle Entwicklung trug dazu bei, sondern auch die Tatsache, dass der Ausbau von Kläranlagen mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten konnte. Der Rat hat sich daher in einem Sondergutachten aus dem Jahr 1974 eingehend mit dem Instrument der Abwasserabgabe auseinandergesetzt, welche zwei Jahre später eingeführt wurde.
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Damaliger Umweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1989
Damaliger Umweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1989
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Im Jahr 1977 wurde Prof. Klaus Töpfer in den Rat von Sachverständigen für Umweltfragen berufen. Er sollte später der zweite Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland werden. Besonders großes Medienecho erfuhr Klaus Töpfer als Umweltminister mit seinem Sprung in den Rhein, da die Wasserqualität des Flusses damals gemeinhin als ungeeignet zum Baden galt. Der Stunt des Ministers löste eine Kontroverse über die Belastung der Fließgewässer aus.
Damaliger Umweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1989
Damaliger Umweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1989
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Defizite zeigten sich in den 1970er-Jahren nicht nur beim Schutz der Binnengewässer, sondern auch der Meere. Dünnsäureverklappung, Entsorgung radioaktiver Abfälle und Schwermetalleinträge aus den Flüssen sind nur einige der Probleme, die zum Teil bis heute nachwirken.
Aus dem Grund beschäftigte sich der Rat in seinem Sondergutachten „Umweltprobleme der Nordsee“ mit dem Meeresschutz. Das Gutachten war eine Pionierarbeit, weil es zum ersten Mal das ganze Wissen über die Nordsee, insbesondere die menschlichen Eingriffe, zusammenfasste. Das Gutachten war Thema einer Bundestagsdebatte und wurde von allen Parteien gewürdigt und der dringende Handlungsbedarf anerkannt:

„Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam darum ringen und kämpfen, daß das Nordsee Gutachten bzw. seine parlamentarische Behandlung nicht wieder zum Ritual erstarrt. Es ist für die drohende Vergiftung der Nordsee vollständig ohne Belang, ob wir das hier behandeln oder ob wir das nicht behandeln. Es ist für den Cäsium-137-Anteil und die alarmierende Zunahme von halogenierten Kohlenwasserstoffen vollständig irrelevant, ob es ein Gutachten gibt oder ob es kein Gutachten gibt, solange nichts geschieht.
Das Gutachten gibt, glaube ich — da sind sich die Fachleute und auch die Laienleser, die es kennen, einig —, einen hervorragenden Überblick und ist eine erstaunliche Leistung; denn so deutlich und so detailliert und so methodenselbstkritisch ist bislang in der Geschichte der Menschen noch kein ökologischer Großraum untersucht worden.

Wir haben bisher die Nordsee genutzt und beachtet: als Müllkippe, als Verkehrsstraße, als Nahrungsreservoir, zuweilen auch als Landschaft für erhabene Gefühle und Gemälde des gehobenen Bürgertums und zunehmend als Freizeitpark.

Abgeordneter Freimut Duve (SPD), Bundestagssitzung am 11.09.1981

Das Sondergutachten trug auch dazu bei, dass auf Initiative Deutschlands 1984 die Internationale Nordseeschutzkonferenz ins Leben gerufen wurde.
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Abbildung aus dem Umweltgutachten 2020. Dargestellt ist der prozentuale Anteil von Flüssen, Bächen und Seen, die durch die wichtigsten Belastungsschwerpunkte, darunter diffuse Quellen bspw. aus Landwirtschaft und Haushalten, beeinträchtigt werden.
Abbildung aus dem Umweltgutachten 2020. Dargestellt ist der prozentuale Anteil von Flüssen, Bächen und Seen, die durch die wichtigsten Belastungsschwerpunkte, darunter diffuse Quellen bspw. aus Landwirtschaft und Haushalten, beeinträchtigt werden.
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Dem Thema Meeresschutz wendete sich der Rat wieder ab den 2000er-Jahren zu. In dem Sondergutachten „Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee“ aus dem Jahr 2004 unterstrich er, dass sich die Fischerei- und Agrarpolitik dringend ändern müssten, um die Biodiversität zu erhalten. Bis heute stellen die Nährstoffeinträge in die Meere, vor allem aus der Landwirtschaft, ein großes Problem für Nord- und Ostsee dar. Die Fischerei verursacht durch den Einsatz schwerer Grundschleppnetze, die das Sediment geradezu durchpflügen, große ökologische Schäden. Bei den Flüssen stehen inzwischen neben diffusen Stoffeinträgen auch morphologische Veränderungen, also bauliche Eingriffe wie Begradigung, Anlegen von Querbauwerken und Eindeichungen im Vordergrund. Konsequenz ist unter anderem der Verlust der Auen, die als Hot Spots der Biodiversität gelten.
Abbildung aus dem Umweltgutachten 2020. Dargestellt ist der prozentuale Anteil von Flüssen, Bächen und Seen, die durch die wichtigsten Belastungsschwerpunkte, darunter diffuse Quellen bspw. aus Landwirtschaft und Haushalten, beeinträchtigt werden.
Abbildung aus dem Umweltgutachten 2020. Dargestellt ist der prozentuale Anteil von Flüssen, Bächen und Seen, die durch die wichtigsten Belastungsschwerpunkte, darunter diffuse Quellen bspw. aus Landwirtschaft und Haushalten, beeinträchtigt werden.
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Biodiversität und Landnutzung

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Das Waldsterben infolge des „sauren Regens“ veranlasste den SRU 1983 zu seinem ersten Sondergutachten im Bereich terrestrischer Naturschutz. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich die hohen Immissionen von Schwefeldioxid und Stickstoffoxiden reduzieren lassen. In jüngeren Gutachten zum Thema Wald stehen die Auswirkungen des Klimawandel, der Verlust der Biodiversität und Ökosystemleistungen stärker im Fokus. Die Aussagen des Rates zur umweltgerechten Waldnutzung im Umweltgutachten 2012 wurden von Förstern und Forstwissenschaftlern heftig kritisiert.
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Eine wesentliche Ursache für den Biodiversitätsverlust in unserer Kulturlandschaft ist die intensive Landnutzung. Bereits Mitte der 1980er-Jahre zeigte der Rat erstmals die Umweltprobleme der Landwirtschaft in Deutschland auf.

„Die außerordentliche Produktionssteigerung in Pflanzenbau und Tierhaltung der letzten Jahrzehnte hat eine problematische Lage herbeigeführt, die eine Neuorientierung sowohl agrarpolitisch als auch umweltpolitisch geboten erscheinen läßt.“

Vorwort des Sondergutachtens „Umweltprobleme der Landwirtschaft“

Die unbequemen Empfehlungen stießen auf heftigen Widerspruch bei Landwirtschaft und Politik.

„Schon im Frühjahr 1985 hatte der Bonner »Rat der Sachverständigen für Umweltfragen« in einem umfangreichen Sondergutachten eine niederschmetternde Bilanz landwirtschaftlicher Umweltsünden vorgelegt und insbesondere Maßnahmen gegen die fortwährende Überdüngung der Felder gefordert. Mit der Erhebung einer Nitratsteuer, der drastischen Ausweitung der Wasserschutzgebiete und der Einführung einer Genehmigungspflicht für Intensivbetriebe sollte der Düngewut Einhalt geboten werden. Doch genau 86 Minuten nach Veröffentlichung des Gutachtens verwarf Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle die Empfehlungen der angesehensten Umweltfachleute der Republik als »überzogen und unrealistisch«.“

Landwirtschaft - der alltägliche Irrsinn, 29.11.1987, DER SPIEGEL  
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Dreißig Jahre später kam das Umweltbundesamt in einer Studie zu dem Schluss, dass eine Reihe der Empfehlungen zwar ganz oder zum Teil umgesetzt wurden, sah aber immer noch einen großen Handlungsbedarf. So beschäftigt das Thema Landwirtschaft den Rat bis heute. Eine Reihe von Papieren hat er auch in Kooperation mit Beiräten des Landwirtschaftsministeriums erstellt (z. B. 2009, 2013, 2013, 2015). Unter anderem hat sich der SRU wiederholt für Abgaben auf Pflanzenschutzmittel und Stickstoffüberschüsse ausgesprochen.
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Zu Beginn der 2000er-Jahre plädierte der SRU für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes. Er mahnte eine stärkere Integration von Naturschutzaspekten in andere Politikbereiche an und schlug eine nationale Naturschutzstrategie vor. Um den eklatant unterfinanzierten Naturschutz zu stärken, empfahl der Rat 2017 gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums einen eigenständigen EU-Naturschutzfonds.
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SRU und WBBGR übergeben im Jahr 2018 die Stellungnahme „Für einen flächenwirksamen Insektenschutz“ an damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze
SRU und WBBGR übergeben im Jahr 2018 die Stellungnahme „Für einen flächenwirksamen Insektenschutz“ an damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze
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Zuletzt sorgte der starke Rückgang von Insekten für viel Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft. In der Stellungnahme „Für einen flächendeckenden Insektenschutz“ betonte der Rat, dass insbesondere die Einträge von Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffen reduziert werden müssten. Monotone Landschaften sollten mit Kleinstrukturen wie Hecken und Ackerrandstreifen angereichert werden. Nur wenn Landnutzung und Naturschutz künftig stärker Hand in Hand gehen, kann den großen Herausforderungen in Folge von Biodiversitätsverlust und Klimawandel begegnet werden. Besondere Synergien für Klima und Natur bietet zum Beispiel der Schutz von Moorböden, wie der SRU 2012 betont hat.
SRU und WBBGR übergeben im Jahr 2018 die Stellungnahme „Für einen flächenwirksamen Insektenschutz“ an damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze
SRU und WBBGR übergeben im Jahr 2018 die Stellungnahme „Für einen flächenwirksamen Insektenschutz“ an damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze
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Abfall- und Kreislaufwirtschaft

Ungeregelte Ablagerung der 1960er Jahre (Foto: Deutscher Rat für Landespflege)
Ungeregelte Ablagerung der 1960er Jahre (Foto: Deutscher Rat für Landespflege)
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Seit den 1960er-Jahren brachte das Wirtschaftswunder nicht nur eine komfortablere Ausstattung der Haushalte mit sich, sondern auch steigende und vielfältigere Abfallmengen. Statt Küchenabfällen, Holz, Textilien und Papier landeten nun Plastik, Verbundmaterialien, Autoreifen und Chemikalien auf ungesicherten Kippen. Das Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 sollte Boden- und Grundwasserschäden, Geruch, Schädlinge und Gesundheitsrisiken vermindern. Der SRU forderte bereits 1974 ein, dass es um mehr als eine geordnete Beseitigung, nämlich eine Abfallwirtschaft, gehen müsse – mit den Zielen „weniger und ungefährliche Abfälle, geordnete Beseitigung, Investitionen in Strukturen und Bürgerberatung“ unter Anwendung des Verursacherprinzips. Im Umweltgutachten 1978 setzte der Rat dann auf Markt, Wirtschaftlichkeit und Eigenverantwortung.

„Die im Abfallwirtschaftsprogramm enthaltenen Überlegungen zur Ergänzung des Abfallrechts im Hinblick auf Abfallverwertung und -wiederverwendung sollten nach Meinung des Rates vorerst zurückgestellt werden. Gesetzliche Regelungen zur getrennten Haltung und Sammlung von Abfällen erscheinen derzeit entbehrlich. Wo sich durch getrennte Haltung und Sammlung rentierliche Verwertungsmöglichkeiten eröffnen, dürfte eine gezielte Aufklärung ebenso wirksam sein. Für die Einführung von gesetzlichen Regelungen zur Festlegung eines Mindesteinsatzes von Altstoffen im Produktionsprozeß fehlt es nach Ansicht des Rates an aktuellen Notwendigkeiten und auch an Entscheidungsgrundlagen, die einen derart drastischen Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen rechtfertigen könnten.“

Die Erfahrung zeigt inzwischen, dass dieser Weg nicht unbedingt zum gewünschten Erfolg führte.  
Ungeregelte Ablagerung der 1960er Jahre (Foto: Deutscher Rat für Landespflege)
Ungeregelte Ablagerung der 1960er Jahre (Foto: Deutscher Rat für Landespflege)
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Als Alternative zu Abfallablagerungen wurden Müllverbrennungsanlagen gebaut, die zunehmend auf Proteste in der Bevölkerung stießen. Die Seveso-Katastrophe 1976 rückte die Emissionen von Dioxinen und Schadgasen aus Verbrennungsprozessen in das Bewusstsein einer ganzen Generation. In der Konsequenz wurden anspruchsvolle Regulierungen und Anlagentechnik entwickelt und umgesetzt. Skepsis und Ablehnung gegenüber Müllverbrennungsanlagen und Deponien blieben jedoch. Gleichzeitig entwickelte sich ein Umweltbewusstsein für Müllmengen, Abfalltrennung und Recycling – Altpapier- und Glascontainer gehörten bald zum Stadtbild. Doch die Abfallmengen stiegen weiter.
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Übergabe des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“ an den damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1990
Übergabe des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“ an den damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1990
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Den jahrzehntelangen sorglosen Umgang mit Abfällen kritisierte der SRU in Sondergutachten zu Altlasten 1989  und 1995 sowie zur Abfallwirtschaft 1990. Dies fand auch Widerhall in der Presse:

„Die Sachverständigen bescheinigen der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft eine horrende Diskrepanz „zwischen einer hochentwickelten, wohlgeordneten Versorgungswirtschaft und einer weithin unterentwickelten, durch Unordnung und Zufälligkeit bestimmten Entsorgungswirtschaft.

Chaos in der Abfallwirtschaft, 14.11.1990, taz

Eine Umbruchphase begann 1993 mit dem ab 2005 ausnahmslosen Verbot, Siedlungsabfälle unvorbehandelt abzulagern – in der Übergangsfrist entstanden neue Konzepte wie die mechanisch-biologische Aufbereitung, Hol- und Bringsysteme für Bioabfall, Wertstoffe oder Sonderabfälle sowie Recycling- und Vermeidungsstrategien.
Übergabe des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“ an den damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1990
Übergabe des Sondergutachtens „Abfallwirtschaft“ an den damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer im Jahr 1990
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Damaliger Ratsvorsitzender Prof. Martin Faulstich bei der Vorstellung des Umweltgutachtens im Jahr 2012
Damaliger Ratsvorsitzender Prof. Martin Faulstich bei der Vorstellung des Umweltgutachtens im Jahr 2012
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In den 2000er-Jahren befasste sich der Rat mit Konsumverhalten, Herstellerverantwortung und befürchteten Rohstoffknappheiten. Der damalige Ratsvorsitzende Prof. Martin Faulstich griff die Erkenntnis des Club of Rome im Kontext des Umweltgutachtens 2012 erneut auf:

„In einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben.“

Bis in die Bild-Zeitung schaffte es der Vorschlag eines Handypfandes.  
Damaliger Ratsvorsitzender Prof. Martin Faulstich bei der Vorstellung des Umweltgutachtens im Jahr 2012
Damaliger Ratsvorsitzender Prof. Martin Faulstich bei der Vorstellung des Umweltgutachtens im Jahr 2012
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Bis heute entwickelt der SRU seine Überlegungen zu einer Kreislaufwirtschaft immer weiter fort, so zuletzt im Umweltgutachten 2020. Dabei stehen zwei Ziele im Fokus: Zum einen sollten in Zukunft Stoffströme insgesamt verringert werden. Zum anderen muss die Produktplanung bereits die Aufbereitung mitdenken, um die Rohstoffe am Ende der Nutzungsphase wieder einsetzen zu können. Dafür müssen die Nutzungs- und Lebensdauer von Produkten verlängert und die Sharing Economy gestärkt werden: Leihen statt Besitzen kann dabei für die unterschiedlichsten Produkte funktionieren und den ökologischen Fußabdruck bei gleichem Komfort deutlich reduzieren.
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Konzepte, Strategien und Instrumente

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Grafische Darstellung des „Umweltsystems“ aus dem Umweltgutachten von 1974
Grafische Darstellung des „Umweltsystems“ aus dem Umweltgutachten von 1974
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Die Diskussion über Konzepte, Strategien und Instrumente war von Anfang an Teil des Umweltdiskurses, zu dem der SRU beitrug. In frühen Werken des Rates, besonders im Umweltgutachten 1974, lassen sich noch Anleihen der Kybernetik der 1960er-Jahre erkennen. Im Gutachten wurde die für Volkswirtschaften verbreitete keynesianische Idee einer Globalsteuerung auf die Ökologie übertragen.

Daneben überlegte der Rat, wie Umweltschutz strategisch gestärkt werden könnte. Er empfahl bereits 1974, ein Grundrecht auf menschenwürdige Umwelt in das Grundgesetz aufzunehmen, die Bevölkerung aktiver über Umweltprobleme aufzuklären und die Klagerechte von Umweltverbänden zu stärken. Viele dieser Themen verfolgte der SRU weiter. So griff er das Verbandsklagerecht 2005 in einer Stellungnahme auf, als Deutschland eine europäische Richtlinie zu Öffentlichkeitsbeteiligungsrechten unzureichend umzusetzen drohte.
Grafische Darstellung des „Umweltsystems“ aus dem Umweltgutachten von 1974
Grafische Darstellung des „Umweltsystems“ aus dem Umweltgutachten von 1974
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Seit den 1970er-Jahren setzte sich der Rat immer wieder für ökonomische Instrumente ein, beispielsweise eine Abwasserabgabe. Damit sollten die Verursacher von Umweltproblemen Anreize erhalten, die Belastungen zur reduzieren. Damals waren ökonomische Instrumente aus grundsätzlichen ethischen und rechtlichen Erwägungen noch stärker umstritten. Später empfahl der SRU einen Flächenzertifikatehandel: Um den zu hohen Flächenverbrauch zu verringern, würden die Kommunen jährlich Anrechte erhalten, Fläche als Siedlungs- und Verkehrsfläche neu auszuweisen. Im zweiten Schritt könnten Kommunen entscheiden, ob sie diese Zertifikate nutzen oder an andere Kommunen verkaufen. Im Energiebereich befürwortete der Rat eine umfassende ökologische Steuerreform und trat als klarer Verfechter eines möglichst sektorübergreifenden europäischen Emissionshandels auf (2002, 2004, 2006). Er sah aber zunehmend die Notwendigkeit, ökonomische Instrumente durch weitere Maßnahmen zu flankieren (2007, 2010). Zudem betonte er, dass es für eine innovationsorientierte Umweltpolitik nicht nur auf die Wahl des Instruments, sondern auch auf klare Zielvorgaben und einen dialogorientierten Politikstil ankomme.
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Darstellung der drohenden Zielverfehlung der Nachhaltigkeitsziele im Sondergutachten 2019 „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“
Darstellung der drohenden Zielverfehlung der Nachhaltigkeitsziele im Sondergutachten 2019 „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“
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Ein wichtiges Anliegen war für den Rat schon früh eine zielorientierte Umweltpolitik:  

„Umweltschutz muß auf Ziele ausgerichtet sein. Im Vordergrund müssen Umweltqualitätsziele, d. h. auf die Immission bezogene Ziele, stehen. […] Der Rat betont nachdrücklich, daß in Qualitätsziele ein vom Vorsorgeprinzip vorgegebener Sicherheitsabstand eingebaut sein muß, der verhindert, daß Systeme bis an den Rand ihrer Funktionsfähigkeit belastet werden.

Umweltgutachten 1987  

In der globalen Debatte über nachhaltige Entwicklung in der Folge der Rio-Konferenz 1992 setzte sich der SRU für das Konzept einer „dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung“ ein. Diese soll sicherstellen, dass Naturkapital langfristig erhalten bleibt und nicht – oder nur in engen Grenzen – durch Human- und Sachkapital ersetzt wird. Die Idee, alle Umweltziele in einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu integrieren, beurteilte der Rat im Umweltgutachten 1998 hingegen zunächst ambivalent. Er betonte das Risiko, dass solch ein Vorhaben auch zu Verzögerungen führen oder sogar scheitern könnte. Nachdem sich die damalige Bundesregierung jedoch die Einführung einer Nachhaltigkeitsstrategie vorgenommen hatte, beteiligte sich der Rat im Umweltgutachten 2000 konstruktiv und begleitet ihre Fortentwicklung seitdem.
Darstellung der drohenden Zielverfehlung der Nachhaltigkeitsziele im Sondergutachten 2019 „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“
Darstellung der drohenden Zielverfehlung der Nachhaltigkeitsziele im Sondergutachten 2019 „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen – Zur Legitimation von Umweltpolitik“
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Ein weiteres wichtiges Thema des SRU war die Umweltverwaltung. Schon 1976 hatte er ein „Vollzugsdefizit“ kritisiert und bei Prof. Renate Mayntz eine umfassende empirische Untersuchung der Vollzugsmängel und ihrer Ursachen beauftragt. Rund 30 Jahre später kam er in einer weiteren Analyse zu dem Ergebnis, dass die Umweltverwaltungen ihre Aufgaben wegen Personalabbau kaum noch angemessen erfüllen könnten und mahnte eine bessere Ausstattung der Behörden an.    

„Darf eine Eiche gefällt werden? Muss eine Fabrikbesitzer [sic] Strafe zahlen, weil er Abwässer in einen Bach eingeleitet hat? Diese Frage bleiben   immer öfter offen – und Akten liegen. Die Zuständigen in den Behörden „sind an den Grenzen der Leistungsfähigkeit“, warnte gestern der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU).“

Gestrichen: Jobs in Umweltverwaltung, 23.02.2007, taz
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Diskussionsveranstaltung zum Sondergutachten 2019 mit Prof. Patrizia Nanz, Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht, Ernst Ulrich von Weizsäcker und damaligem Ratsmitglied Prof. Christian Calliess
Diskussionsveranstaltung zum Sondergutachten 2019 mit Prof. Patrizia Nanz, Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht, Ernst Ulrich von Weizsäcker und damaligem Ratsmitglied Prof. Christian Calliess
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Das kurz vor dem Aufkommen der Fridays-for-Future-Bewegung begonnene Sondergutachten „Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen“ war von der Erkenntnis motiviert, dass ein ausreichendes politisches Umsteuern trotz besorgniserregender Umweltzerstörung bisher nicht gelang. Der Rat arbeitete die Legitimation einer Umweltpolitik heraus, die ökologischer Grenzen einhält und schlug verschiedene Reformen vor, die den Umweltschutz in Politik und Verwaltung stärken sollten.  
Diskussionsveranstaltung zum Sondergutachten 2019 mit Prof. Patrizia Nanz, Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht, Ernst Ulrich von Weizsäcker und damaligem Ratsmitglied Prof. Christian Calliess
Diskussionsveranstaltung zum Sondergutachten 2019 mit Prof. Patrizia Nanz, Ratsmitglied Prof. Wolfgang Lucht, Ernst Ulrich von Weizsäcker und damaligem Ratsmitglied Prof. Christian Calliess
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Umwelt und Gesundheit

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Abbildung aus dem Umweltgutachten 1978
Abbildung aus dem Umweltgutachten 1978
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„Die Gefährdung menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit durch Umwelteinflüsse ist eines der wichtigsten Probleme, mit denen sich der Umweltschutz zu befassen hat“ stellte der Rat bereits in seinem zweiten Umweltgutachten 1978 fest. Neben den Luftschadstoffen standen zunächst die Belastungen durch Blei, Cadmium, Asbest und bestimmte organische Schadstoffe im Vordergrund.
Abbildung aus dem Umweltgutachten 1978
Abbildung aus dem Umweltgutachten 1978
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Bei einigen neuartigen, umweltbezogenen Gesundheitsrisiken überwogen anfangs vorsichtige Einschätzungen und die Appelle des Rates, das Wissen zur Wirkung von Umweltschadstoffen weiter zu vertiefen, so beispielsweise im Umweltgutachten 1974. 1999 schrieb der Umweltrat zu möglichen hormonähnlichen Wirkungen von synthetisch erzeugten Stoffen, dass nach gegenwärtigem Stand der Erkenntnisse eine Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit hierdurch eher unwahrscheinlich sei. Diese Ansicht revidierte der Rat angesichts neuer Erkenntnisse in seinem Umweltgutachten von 2004:

„…das Beispiel der Phthalate [zeigt], dass die Belastung des Menschen mit synthetisch her gestellten Stoffen, die derartige wirkspezifische Eigenschaften aufweisen, in diesem einen Fall deutlich kritischer zu bewerten ist als bisher angenommen.“

Dass bei wissenschaftlicher Unsicherheit das Vorsorgeprinzip gelten muss, hatte der Rat bereits im Umweltgutachten 1987 betont. Darin stellte er im Hinblick auf die Schadstoffbelastung in Lebensmitteln fest, dass eine zufriedenstellende Charakterisierung der Belastungssituation derzeit nicht möglich sei. Trotzdem kam der Rat zur Auffassung, dass bei bestimmten Stoffen (chlororganischen Pestiziden, Blei, Cadmium und Nitrat) die Grenzen zumutbarer Belastungen der Bevölkerung durch Verunreinigungen in Lebensmitteln erreicht oder überschritten seien und er empfahl wirksame Maßnahmen zur Begrenzung und Verminderung des Eintrags solcher Stoffe in die Umwelt.
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Auch die Entwicklung der Chemikaliengesetzgebung begleitete der Umweltrat bereits 1979 mit einer Stellungnahme. In einer Pressekonferenz im selben Jahr kritisierte er den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Umweltchemikaliengesetzes als unzureichend:

„Scharfe Kritik hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen am Entwurf eines Umweltchemikaliengesetzes der Bundesregierung geübt, das giftige und krebserregende sowie umweltverseuchende Stoffe möglichst frühzeitig aufspüren soll. Der Vorsitzende des zwölf Mitglieder zählenden Rates, Prof. Hartmut Bick, erklärte am Dienstag in Bonn, das Gesetz tauge nichts. Es sei ein Ansatz, aber ein schlechter.“

Umweltrat kritisiert das Chemikalien-Gesetz, 19.09.1979, Nordwestzeitung

In den folgenden Jahren gab es in den Umweltgutachten regelmäßig Empfehlungen zur Verbesserung der Chemikalienregulierung (z. B. 1994, 1996, 2000). Als im Februar 2002 die Europäische Kommission ein Weißbuch zur Chemikalienpolitik vorlegte, begrüßte der Rat in seinem Umweltgutachten die darin geplante Reform des europäischen Chemikalienrechts als Chance für einen deutlich vorsorgeorientierteren Ansatz der Chemikalienpolitik.

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Bereits in seinem ersten Sondergutachten „Auto und Umwelt“  1973 hatte der Umweltrat die Gesundheitsgefahren durch Luftschadstoffe (u. a. Ruß- und Bleiemissionen) ausführlich behandelt. Er forderte, dass Abgasemissionswerte für Kraftfahrzeuge weiter gesenkt werden sollten. Schon 2005 wies der Rat darauf hin, dass es eine Diskrepanz zwischen Abgasemissionen auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb gab. 2015 kam es dann zum Dieselskandal, als unerlaubte Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Dieselfahrzeugen entdeckt wurden. Es folgten in der Öffentlichkeit kontroverse Diskussionen über Nachrüstungen und Fahrverbotszonen für betroffene Dieselfahrzeuge. Dabei wurde die gesundheitliche Relevanz von Stickstoffoxid-Emissionen von Teilen der Öffentlichkeit und Politik grundsätzlich infrage gestellt. In einer Pressemitteilung vom 30.06.2017 betonte die Ratsvorsitzende Claudia Hornberg hingegen die zweifelsfreie wissenschaftliche Studienlage zur Gesundheitsgefährdung und erklärte: „Stickstoffoxide (NOx) bleiben eine Herausforderung für den Gesundheitsschutz.“
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Der Schutz vor Verkehrslärm ist ein weiteres Gesundheitsthema, das sich durch viele SRU-Gutachten zieht (z. B. 1973, 2005). Die Empfehlungen, die der Umweltrat 1999 zum Schutz vor umweltbedingtem Lärm gab und die sich auf die Lärmpegel für bestehende Straßen und Schienenwege in Wohngebieten bezogen, waren auch Jahre später noch aktuell. Im Umweltgutachten 2004 stellte der Rat fest, dass dem für die Genehmigung von Flughäfen zentralen Luftverkehrsgesetz seit 44 Jahren ein untergesetzliches Regelwerk mit eindeutigen und adäquaten Grenzwerten zum Schutz vor Lärm fehle. Ohne dieses würde der Schutz vor Fluglärm nicht durchgesetzt. In einem Sondergutachten 2014 konstatierte der SRU, dass der Flugverkehr mit seinem Lärm vom geltenden Recht unangemessen privilegiert würde. Auch im Umweltgutachten 2020 sah der SRU noch erheblichen Handlungsbedarf in Bezug auf den Lärmschutz bei den verschiedenen Verkehrsträgern.
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Energie und Klima

Die Ölkrise 1973 zeigte auf, wie abhängig die deutsche Energieversorgung von fossilen Importen war. Dass in Reaktion darauf die Atomkraft ausgebaut werden sollte, stieß jedoch auf erheblichen gesellschaftlichen Widerstand. 1981 widmete sich der SRU dem Thema der Energieversorgung erstmals in einem Sondergutachten mit dem Titel „Energie und Umwelt“. Der Rat beschäftigte sich dabei mit Schadstoffemissionen aus Kohleverbrennung und den Risiken der Kernenergie. Manche der damaligen Empfehlungen sind heute noch relevant. So sprach sich der Rat dafür aus, die erneuerbaren Energien und die Kraft-Wärme-Kopplung stärker auszubauen sowie energieeffizienter zu nutzen. Möglichen Klimaveränderungen durch CO2-Emissionen wurden hingegen nur vier Seiten gewidmet. Das Fazit, welches aus heutiger Sicht eine Fehleinschätzung darstellt, lautete:

„Der Rat mißt nach Abwägung aller bekannt gewordenen Fakten der CO2-Belastung aus dem Verbrauch fossiler Brennstoffe keine wesentliche Bedeutung für das globale Klima zu. Der vielschichtige Problemkreis sollte aber weiterhin aufmerksam verfolgt werden.“ 

Sondergutachten "Energie und Umwelt", S. 68
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Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (1. v. l.) und Umweltministerin Angela Merkel mit Industrievertretern bei der Verkündung der „Vereinbarung zur Klimavorsorge“ 1995, einer Selbstverpflichtung der Industrie zur Senkung der CO2-Emissionen, im Jahr 1995
Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (1. v. l.) und Umweltministerin Angela Merkel mit Industrievertretern bei der Verkündung der „Vereinbarung zur Klimavorsorge“ 1995, einer Selbstverpflichtung der Industrie zur Senkung der CO2-Emissionen, im Jahr 1995
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Die Forschungslage zu diesem Thema verbesserte sich jedoch in der Folgezeit. In den 1990er-Jahren sah der Rat den CO2-Ausstoß durch fossile Energieträger als eine zentrale umweltpolitische Herausforderung. Daher beschäftigte er sich im Umweltgutachten 1996 und in weiteren Publikationen immer wieder ausführlich mit der Ausgestaltung einer ökologischen Steuerreform in Form einer CO2-Steuer oder eines Emissionshandels. Bei der öffentlichen Vorstellung des Umweltgutachtens 1996 warnte der Rat vor allem davor, das Problem immer weiter in die Zukunft zu verschieben:

„„Im Grunde hat sich seit 1988 nichts Wesentliches getan“, so der Ökonom [und Ratsmitglied Prof. Hans-Jürgen] Ewers. Wegen der Untätigkeit der Kohl-Regierung werde es immer schwieriger, eine Verringerung der Kohlendioxidemissionen um 25 Prozent [bis 2005 im Vergleich zu 1990] zu erreichen. Wenn die Bundesregierung ihr Ziel noch erreichen wolle, müsse sie jetzt die Energiesteuern so deutlich erhöhen, daß es „eine ziemliche Blutspur hinterläßt“. Im Gutachten ist von einer notwendigen Steuerbelastung von 215 Mark pro Tonne Kohlendioxid die Rede.“

Wer nichts tut, muß später mehr zahlen, 08.05.1996, taz
Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (1. v. l.) und Umweltministerin Angela Merkel mit Industrievertretern bei der Verkündung der „Vereinbarung zur Klimavorsorge“ 1995, einer Selbstverpflichtung der Industrie zur Senkung der CO2-Emissionen, im Jahr 1995
Wirtschaftsminister Günther Rexrodt (1. v. l.) und Umweltministerin Angela Merkel mit Industrievertretern bei der Verkündung der „Vereinbarung zur Klimavorsorge“ 1995, einer Selbstverpflichtung der Industrie zur Senkung der CO2-Emissionen, im Jahr 1995
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In den 2000er-Jahren beteiligte sich der Rat an zahlreichen klimapolitischen Debatten, wie dem naturverträglichen Ausbau der Offshore-Windenergie. Auch sah er früh die Gefahr von zu vielen Ausnahmeregelungen im Europäischen Emissionshandel und beurteilte den ökologisch fragwürdigen Einsatz von Biomasse als Kraftstoff kritisch. Anbaubiomasse sollte stattdessen im Wärme- und Stromsektor verwendet werden – eine Empfehlung, die der Rat heute aufgrund des Potenzials der Agri-Photovoltaik so wohl nicht mehr geben würde.
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Damaliges Ratsmitglied Prof. Olav Hohmeyer: „Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit hohen Anteilen von Kohle oder Kernkraft an der Stromversorgung nicht vereinbar.“
Damaliges Ratsmitglied Prof. Olav Hohmeyer: „Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit hohen Anteilen von Kohle oder Kernkraft an der Stromversorgung nicht vereinbar.“
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Der SRU kritisierte, dass die Bundesregierung 2010 eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke beschloss. In seinen Untersuchungen zeigte er, dass eine 100 % erneuerbare, wettbewerbsfähige und zuverlässige Stromversorgung bis 2050 machbar sei. Auf den Reaktorunfall von Fukushima erfolgte in Deutschland 2011 dann das erneute politische Bekenntnis zum Atomausstieg und zu einer beschleunigten Energiewende.
Damaliges Ratsmitglied Prof. Olav Hohmeyer: „Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit hohen Anteilen von Kohle oder Kernkraft an der Stromversorgung nicht vereinbar.“
Damaliges Ratsmitglied Prof. Olav Hohmeyer: „Deutschland steht vor einer Systementscheidung. Der notwendige Ausbau der erneuerbaren Energien ist mit hohen Anteilen von Kohle oder Kernkraft an der Stromversorgung nicht vereinbar.“
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In den folgenden Jahren trieb den Rat vor allem die Tatsache um, dass Deutschland seine Vorreiterrolle im Klimaschutz eingebüßt hatte. Die sektoralen Emissionsminderungen passten nicht zu den klimapolitischen Zielen. In zwei Gutachten 2015 und 2017 begründete der Rat die Notwendigkeit eines sofort zu beginnenden Kohleausstiegs, der sich an den Klimazielen orientieren müsse. Dabei entwickelte der Rat auch Empfehlungen für einen sozialverträglichen Strukturwandel in ostdeutschen Braunkohlerevieren. Mit dem Kapitel „Pariser Klimaziele erreichen mit dem CO2-Budget“ im Umweltgutachten 2020 stieß der Rat schließlich eine erneute gesellschaftliche und politische Debatte zur Frage an, ob die deutschen Klimaziele mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel seien.  
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Bericht über offenen Brief des Umweltrats an die Bundesregierung, Tagesschau vom 17.09.2019

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  • Bildrechte: 1971-1974, S.1: IMAGO/ Klaus Rose, 1971-1974, S.3: IMAGO/ Sven Simon, 1974-1980, S.1: Friedrich Magnussen, CC BY-SA 3.0 DE , 1974-1980, S.3: IMAGO/ Klaus Rose, 1974-1980, S.4: ESA, CC0, 1980-1990, S.1: CC0, 1980-1990, S.3: IMAGO/ Dieter Bauer, 1980-1990, S.4: IMAGO/ Jürgen Ritter, 1980-1990, S.5: IMAGO/ imagebroker, 1990-2000, S.1: IMAGO/ United Archives International, 1990-2000, S.2: IMAGO/ Jens Köhler, 1990-2000, S.4: IMAGO/ Rainer Unkel, 1998-2010, S.1: IMAGO/ Jürgen Eis, 1998-2010, S.2: IMAGO/ nordpool/Riediger, 1998-2010, S.3: Johannes Diek, CC-BY-SA-4.0, 1998-2010, S.4: NOAA, CC0, 2010-heute, S.1: IAEA Imagebank, CC-BY-SA-2.0, 2010-heute, S.2: IMAGO/ Eibner Europa, 2010-heute, S.4: IMAGO/ Arnulf Hettrich, 2010-heute, S.5: Leonard Lenz, CC0 1.0, Abfall- und Kreislaufwirtschaft, S.1: CC0, Abfall- und Kreislaufwirtschaft, S.5: CC0, Abfall- und Kreislaufwirtschaft, S.6: Vs Heidelberg Photos, CC BY-SA 2.0, Abfallwirtschaft, S.3: IMAGO/ Milestone/Media, Biodiversität, S.2: CC0, Copyright des Titelbilds, Energie und Klima, S.2: IMAGO/ sepp spiegl, Energie und Klima, S.3: CC0, FAQ Nr 5: Bundesbildstelle Bonn, Foto von Olya Kobruseva von Pexels , Konzepte, Strategien und Instrumente, S.2: CC0, Meere und Binnengewässer, S.2: IMAGO/ Klaus Rose, Meere und Binnengewässer, S.3: Lothar Schaack, CC-BY-SA-3.0-DE, Meere und Binnengewässer, S.4: Lothar Schaack, CC-BY-SA-3.0-DE, Meere und Binnengewässer, S.5: IMAGO/ ZUMA/Keystone, Mobilität, S.1: IMAGO/ Rust, SRU, Strategien, Konzepte und Instrumente, S.5: IMAGO/ momentphoto/Killig, Umwelt & Gesundheit, S.1: Copyright IMAGO / CHROMORANGE, Umwelt und Gesundheit, S.2: IMAGO/ Sven Simon, Umwelt und Gesundheit, S.4: IMAGO/ Panthermedia, Umwelt und Gesundheit, S.5: IMAGO/ MiS, Umwelt und Gesundheit, S.6: Th. Voekler, CC-BY-SA-3.0, Verkehr und Mobilität, S.3: IMAGO/ Werner Schulze, Verkehr und Mobilität, S.5: News Oresund, CC-BY-2.0

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